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WM-Gastgeber Südafrika steckt knapp 200 Millionen Euro in eine Image-Kampagne.

Kapstadt - Das WM-Land Südafrika schwankt sechs Monate vor dem Anpfiff zwischen Euphorie und Hysterie.

Die Drohung ist unüberhörbar: Während der Fußball-Weltmeisterschaft würden sie gezielt ausländische Touristen überfallen und ausrauben, erklärt der vermummte Mann zur besten Sendezeit im privaten südafrikanischen Fernsehsender e.tv kühl. Falls es Schwierigkeiten mit der Polizei geben sollte, würden sie sich ihren Weg freischießen, ergänzt ein zweiter, das Gesicht von der Kamera abgewandt, und fuchtelt martialisch mit einem Revolver herum.

Vermutlich wäre die Räuberpistole von der breiteren Öffentlichkeit kaum registriert worden. Doch seit Mitte Januar macht sie Schlagzeilen: Ein 43-jähriger Discjockey aus Soweto hat wegen der Sendung Selbstmord begangen. Er fühle sich von e.tv hereingelegt, ließ er im Abschiedsbrief wissen. Nach Angaben des Senders hatte er den Kontakt zu den beiden angeblichen Kriminellen hergestellt. Nach Vermutungen der Polizei war er allerdings selbst einer der beiden Gangster-Darsteller.

Polizeiminister Nathi Mthethwa verlangt kategorisch die Herausgabe aller Unterlagen der TV-Station, und ANC-Sprecher Jackson Mthembu droht dem Sender gar unverhüllt, wenn er nicht kooperiere, setze er sich - Pressefreiheit hin, journalistisches Ethos her - dem Vorwurf aus, dass er sich von Kriminellen nicht mehr unterscheide. Polizei, Regierung, ANC, Medien, Juristen fielen übereinander her, diskutierten hitzig, ob die Pressefreiheit in Gefahr geraten war, ob ein Sender solche Bilder zeigen dürfe, ob durch derartige Berichte nicht die ganze WM in Misskredit gerate. DJ Lucky Phungula entzog sich der Auseinandersetzung, nahm Gift und starb vor der Toilette in seinem Haus in Soweto.

Das Schicksal Phungulas ist nicht untypisch für die aufgeregte Stimmung in Südafrika: Ein halbes Jahr vor dem Anpfiff zur ersten Fußball-Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden schwankt das Land zwischen Euphorie und Hysterie. Das historische Ereignis sollte ganz Afrika vom Makel des Kontinents der Krisen, Katastrophen und Kriege befreien. 2010 sollte das Jahr Afrikas werden. Südafrikas Staatspräsident Jacob Zuma verkündete in seiner Neujahrsbotschaft, ein Ruck werde durch sein Land gehen. Ein neues Wir-Gefühl, ein neuer Patriotismus, eine Aufbruchsstimmung werde Südafrika erfassen - wie zuletzt vor 20 Jahren, als Nelson Mandela nach 27-jähriger Haft aus dem Gefängnis entlassen worden war.

Über zwei Milliarden Rand (knapp 200 Millionen Euro) steckt Südafrika nach einem Bericht der Wochenzeitung "Mail & Guardian" derzeit in eine Image-Kampagne, die das Land am Kap weltweit zum Markenzeichen, zur Top-Destination für Touristen machen, es als Land präsentieren soll, in dem sich Investitionen auszahlen, das politisch stabil, sicher und zukunftsträchtig ist. Schreckensnachrichten über Morde, Überfälle, fremdenfeindliche Ausschreitungen, revoltierende Soldaten, Aids, Arbeitslosigkeit sollen Vergangenheit sein. Die führenden Meinungsmacher Südafrikas schlossen sich zusammen, um mitzuhelfen bei dieser Image-Korrektur.

Ausländische Journalisten - auch aus Deutschland - werden dutzendweise nach Südafrika gekarrt, um Land und Leute von der schönen Seite kennenzulernen. "Täglich eine gute Nachricht" aus und über Südafrika ist eines der Ziele der Kampagne, die nicht nur nach außen wirken, sondern vor allem die Südafrikaner selbst in den Fußballrausch reden soll. Der "Fußball-Freitag" soll sie zum Wochenausklang statt an den heimischen Herd auf den grünen Rasen locken. Schon jetzt werden sie gedrängt, ausreichend Fahnen für das WM-Fest bereitzuhalten. Per Internet oder in örtlichen Gruppen sollen sie den eigens für die WM kreierten "Diski-Dance" erlernen. Swingen und singen soll das Land.

Der terroristische Anschlag auf die togolesische Nationalmannschaft vor dem Afrika-Cup in Angola hat Südafrikas Politiker und die offizielle Fußballwelt jäh aus den Blütenträumen gerissen, weil er eine neue Diskussion entfacht hat, wie sicher das WM-Land ist. Die eilfertige Antwort "Südafrika ist nicht Angola" kann - so richtig sie ist - nur vordergründig beruhigen: Denn auch Südafrika hat trotz aller gegenteiligen Beteuerungen ein Terrorismus-Problem. Erst Ende vergangenen Jahres wurde die US-Botschaft in Pretoria vorübergehend geschlossen, weil es Hinweise auf einen drohenden Anschlag durch islamistische Gruppen gab. Südafrika gilt Sicherheitsdiensten als Ruhe- und Versorgungsraum für die El Kaida und die somalische Terrorgruppe al-Shabaab. Der US-Terrorexperte Mark Schroeder glaubt dennoch, dass "die Kriminalität und nicht der Terror die Hauptgefahr für Touristen ist".

Zwar rüstet Südafrikas Polizei auf: Bis zu 50.000 zusätzliche Polizisten werden gesucht. Mit Großanzeigen lockt die Regierung ehemalige Polizisten, in den Polizeidienst zurückzukehren. Insgesamt 195.000 Polizisten will Südafrika während der WM zur Sicherung von Spielern und Fans einsetzen. Doch auch wenn Südafrika bis zur WM nach Ansicht internationaler Experten seine Sicherheitsprobleme in den Griff kriegen wird: Mit rund 50 Morden am Tag, mit ungezählten Überfällen und Vergewaltigungen ist Südafrika nach wie vor eines der gefährlichsten Länder der Welt.

Allein in der Provinz Westkap sind von Mitte Dezember bis Mitte Januar laut Kriminalstatistik 212 Menschen ermordet worden. Trotzdem verkündete Polizeiminister Lennit Max ungerührt: "Wir hatten eine verhältnismäßig friedliche Festtagszeit." Seine Partei, die Demokratische Allianz (DA), befürchtet allerdings, dass die Kriminalstatistik im Vorfeld der WM landesweit frisiert wird. Zudem ist die Polizei selbst ein Teil des Problems: korrupt, unterbezahlt und schlecht ausgebildet.

Die Arbeitslosigkeit sorgt zunehmend für Unruhe in den Townships. Eine Million Arbeitsplätze sind im vergangenen Jahr verloren gegangen. Die reale Arbeitslosenquote liegt bei 30 Prozent. Mittlerweile stehen die ersten Arbeiter, die auf den WM-Baustellen einen Job gefunden hatten, wieder auf der Straße. Die südafrikanische Wirtschaft, die 2009 zum ersten Mal seit dem Ende der Apartheid in eine Rezession geraten war, ficht das nicht an: Beim "Grant Thornton Index 2010 ", bei dem 7400 große und mittlere Unternehmen in 36 Ländern über ihre Zukunftshoffnungen befragt wurden, erklärten 60 Prozent der befragten südafrikanischen Firmen, sie seien optimistisch. Im Jahr zuvor waren es nur 35 Prozent.

Der Soziologe Dale McKinley warnt, dass vom Fußballfest nur die profitieren, die ohnehin schon reich seien. Nach der WM würden deshalb die sozialen Spannungen wachsen. Schon jetzt werden fast täglich zum Teil gewalttätige Unruhen gemeldet. Oppositionsführerin Helen Zille tourt derzeit durchs Land, um sich selbst von der Wut und dem Frust in der Bevölkerung ein Bild zu machen. Die Regierung beteuert zwar, sie werde Abhilfe schaffen. Die Geduld der notleidenden Menschen ist allerdings zunehmend erschöpft.

Das jährliche "Barometer" des Instituts für Gerechtigkeit und Versöhnung ergab für 2009 eine erschreckende Bilanz: Weniger als ein Drittel der Befragten vertrat die Ansicht, seit dem Übergang zur Demokratie vor 20 Jahren habe sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt oder bei der persönlichen Sicherheit verbessert. Nur die Hälfte aller Südafrikaner hat noch Vertrauen in das Parlament und nur 39 Prozent in die Regierungen auf lokaler Ebene.

Doch die Krisensymptome wurden und werden im WM-Gastgeberland weitgehend verdrängt und ausgeblendet. Deshalb wirkten - nach dem Terrorakt von Angola - die Angaben zum schleppenden Kartenverkauf für die WM auch wie eine kalte Dusche. Der Chef des lokalen WM-Organisationskomitees (LOC) 2010, Danny Jordaan, der bisher noch alles schöngeredet hat, muss zum ersten Mal eingestehen, dass die WM für Südafrika zum Flop werden könnte: "Dies wird wohl die erste Fußball-Weltmeisterschaft in der Geschichte, bei der die Gastgebernation nicht die meisten Tickets gekauft hat."