Ein ungewohntes Bild: Auf dem Marktplatz ist viel Luft zwischen den Buden. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Sie werden immer weniger. Den Markthändlern hat Corona schwer zugesetzt, viele haben ihren Beruf aufgegeben. Bei den Weihnachtsmärkten gibt es große Lücken.

Es gibt nicht viele jener Tage, an denen man sich in Stuttgart fühlt, als wohne man am Polarkreis. Des Morgens kann man Eisblumen an den Fenstern betrachten und die Luft ist nicht nur von Feinstaub durchzogen, sondern mit Schnee gezuckert. Die Finnen in ihrem Weihnachtsdorf auf dem Karlsplatz mögen darüber lachen. Aber als Kesselbewohner braucht man bei diesen Temperaturen Winterstiefel, Handschuhe, Schal und Mütze. Und einen Glühwein, natürlich. Das sorgt für Frohlocken bei den Beschickern auf dem Weihnachtsmarkt. Die Rechnung ist nicht kompliziert, sogar ein Grundschüler kann sie machen: Je kälter es ist, desto mehr Glühwein wird getrunken.

Warum sind es weniger Händler?

Deshalb wollen alle auch gerne Glühwein verkaufen. Essen und Trinken geht immer. Wenn die Weihnachtsmarkt-Veranstalterin in.Stuttgart wollte, könnte sie die ganze Stadt zupflastern mit Buden, aus denen Glühwein und Langosz gereicht wird. Doch eine „Fressgasse“ wollen sie nicht aus dem Weihnachtsmarkt machen, sagt Marcus Christen von der Veranstaltungsgesellschaft in.Stuttgart. Deshalb stehen dieses Jahr auch nur 220 Hütten in Stuttgart statt wie sonst 280. Deutlich sieht man es auf dem Marktplatz, dort ist es ungewohnt luftig. Es gab schlichtweg zu wenige Bewerbungen von Markthändlern, also jenen Menschen, die Keramikreiben, Socken, Weihnachtskugeln, Kerzen, Krippen oder Springerle verkaufen. „Das ist bei allen Weihnachtsmärkten so“, sagt Volker Schönemann, Vizepräsident des Landesverbands der Schausteller und Marktkaufleute, „die bekommen sie überall nicht voll." Viele Kollegen hätte Corona den geschäftlichen Garaus gemacht. Zwei Jahren keine Einnahmen? „Da haben 20 Prozent der Kollegen aufgegeben.“ Und die kurzfristige Absage vieler Weihnachtsmärkte im Vorjahr habe sie misstrauisch gemacht, nicht noch mal wollten sie auf bestellter Ware sitzen bleiben.

Wer trotzt den Problemen?

Gerhard und Sieglinde Janoschke haben diese Zeit nur überstanden, „weil das Haus abbezahlt war und der Sohn schon promoviert hatte“. Aber auch sie gehen es ruhiger an. Drei Märkte besuchen sie noch und verkaufen dort ihre Windlichter aus Holzfurnier. Seine Frau steht in Nürnberg auf dem Christkindlesmarkt, sagt Gerhard Janoschke, er selbst hütet den Stand in Stuttgart. Mit seinen 67 Jahren macht er das immer noch gerne, und so lange es „gesundheitlich geht“.

Die Händler stehen meist selbst in ihren Buden

Es ist ein langer Tag. Von morgens 11 Uhr bis abends 21 Uhr in der Bude stehen, am Wochenende noch eine Stunde länger. „Wer mutet sich das noch zu?“, fragt Volker Schönemann. Eine rhetorische Frage. Die Antwort sieht man an den Lücken auf dem Marktplatz. Wer sich nicht selbst ausbeutet, verdient nicht viel. Personal kann man sich schwer leisten – oder findet es gar nicht. Schönemann: „Es ist bei uns wie bei Bäckern, Handwerkern und Metzgern: Wir finden niemanden, der bei uns arbeiten will.“ Wobei, es gebe willige Arbeitskräfte. Aber die sind von außerhalb der EU. „Dafür sind die bürokratischen Hürden viel zu hoch“, sagt Schönemann, „die Politik muss dringend reagieren und etwas ändern.“

Eine große Klappe hilft beim Verkaufen

Da kann die Familie Kneer aus Gruibingen gottfroh sein, dass Elke Scheuermann sich zu ihrer Rente was dazuverdienen will. Sie steht in der Bude, verkauft Socken, Mützen und Handschuhe. „Ich hatte einen Bürojob“, sagt sie, „und jetzt bin ich froh, unter Menschen zu sein.“ Sie hat schnell gelernt, was eine gute Marketenderin ausmacht. Die Vorzüge der Produkte, gestrickt, gewirkt und gewebt aus der Wolle von auf der Alb grasenden Schafen bringt sie en passant an den Mann und die Frau.

Nicht weit weg erfährt man, dass genau mit dieser speziellen Keramikreibe der Ingwer ganz besonders gut gerieben wird. Und seine Heilkraft entfalten könne. Denn der Händler habe „80 Jahre alte Kunden, die dank Ingwertee auch dieses Jahr gesund durch den Winter kommen“. Beim Verkaufen ist Bescheidenheit nicht immer eine Zier. Auf sein Angebot und auf sich aufmerksam zu machen, ist eine alte Kunst. Eine große Klappe schadet nie, auch wenn das Angebot wechselt. 1835 verkaufte man englische Nähnadeln, türkische Schlafröcke, Basler Konfekt,marinierte Heringe und echte Vanille auf dem Weihnachtsmarkt.

Am Anfang waren die Viehmärkte

Angefangen hatte alles aber mit Ochs und Esel. Sie standen an der Krippe, als Jesus geboren wurde. Und sie waren da, als der Weihnachtsmarkt im 16. Jahrhundert aus der Taufe gehoben wurde. Der begann nämlich als Viehmarkt. Davon ist heute nichts mehr zu spüren. Tiere tauchen nur noch verwertet auf, als Wurst oder als Namensgeber. Aber im Tigerbalsam ist kein Tiger drin und in der Pferdesalbe kein Pferd. Die Pferdesalbe heißt übrigens so, weil man früher damit die Pferde eingerieben hat, damit sie länger schaffen konnten. Eine Rosskur sozusagen. Eine Rossnatur braucht, wer diesen Temperaturen trotzt. Gerhard Janoschke macht es gerne. Seit 30 Jahren. Früher verkauften sie Türschilder, heute entwirft seine Frau die Windlichter, die via Laser aus Holz-Furnier geschnitten werden. Glücklicherweise haben sie noch genügend Material im Lager, denn wie viele Kollegen haben sie Probleme Nachschub zu bekommen. Auch deshalb blieben etliche Händler zuhause.

Die Ware ist knapp

Ihre Ware ist ähnlich schwer zu bekommen wie Fiebersaft. Volker Schönemann muss sich mit diesen Fährnissen nicht mehr persönlich herumschlagen. Seine Tochter übernahm den Betrieb. Er selbst ist aber auch wieder auf einem Weihnachtsmarkt. Er spielt in Rothenburg Drehorgel. Was soll er machen, sagt er, „ich habe das im Blut!“