Hans-Peter Andrä referierte über das Stuttgarter Wahrzeichen. Foto: Fatma Tetik

Wann fällt der Fernsehturm um? Diese Frage hat etwa 70 Menschen zur Sprechstunde der Stiftung Pro Sankt Hedwig gelockt. Hans-Peter Andrä vom Ingenieurbüro Leonhardt, Andrä und Partner erklärte aber eigentlich das Gegenteil.

Degerloch/Möhringen - Durchschnittlich 30 Bürgerinnen und Bürger besuchen für gewöhnlich die Sonntagssprechstunde der Stiftung Pro Sankt Hedwig und folgen den Vorträgen im Café. Vergangenen Sonntag haben die Sitzplätze hingegen nicht ausgereicht. Zahlreiche Gäste mussten sich mit Stehplätzen begnügen. „Ich fürchte, da haben einige etwas falsch verstanden“, sagte der sichtlich überraschte Pfarrer Heiko Merkelbach. Das könne an dem provokanten Titel des Vortrags liegen.

Etwa 70 interessierte Frauen und Männer waren gekommen, um sich den Vortrag „Wann fällt der Fernsehturm um?“ anzuhören, darunter viele S21-Gegner.

Fildertunnel ist dünnes Eis

Hintergrund ist die Trassenführung des S21-Fildertunnels. Der geplante Tunnel führt streckenweise unter dem Stuttgarter Wahreichen durch. Kritiker, die dadurch die Standsicherheit des wiedereröffneten Turms befürchten, sind am Sonntag allerdings enttäuscht worden. „Wir als Kirche mischen uns nicht in die Politik ein“, erklärte der Pfarrer Merkelbach.

Und auch Hans-Peter Andrä wollte sich nicht zu dem Thema äußern, „da begibt man sich auf dünnes Eis“. Andrä ist Vorsitzender des Aufsichtsrats des Ingenieurbüros Leonhardt, Andrä und Partner AG, das Ingenieurbüro, in welchem der Fernsehturm einst geplant worden ist. Zudem ist Andrä der Sohn von Wolfhart Andrä, mit dem Fritz Leonhardt sein Ingenieurbüro gegründet hatte.

Die Vorteile von Beton

In seinem kurzweiligen und humorigen Vortrag ging der Diplom-Ingenieur auf die Konstruktion, die Standsicherheit und die Lebenserwartung des 1956 als weltweit erster Fernsehturm in Spannbetonausführung eröffneten Bauwerks ein. Funktürme sind zu jener Zeit meist aus Stahl gebaut worden. Andrä erklärte, weshalb man sich beim Fernsehturm für den Baustoff Beton entschieden habe. Zum einen sei Beton billiger, aber auch steifer in der Eigenschaft. „Das heißt, die Biegeverformungen bei Wind sind kleiner, und so werden bei Betontürmen die Schwankungen und damit die Neigungswechsel des Antennenträgers kleiner, was für die Sendequalität wichtig ist“, so Andrä.

Ein weiterer Vorteil des Betons sei zudem die starke Dämpfung von Schwingungen, die vom Wind angeregt werden. Das Herz des 217 Meter hohen Bauwerks bleibe dem Besucher allerdings verborgen. „Die technische Meisterleistung, die für die Standsicherheit des Turms sorgt, befindet sich unter der Erde“, so der Fachmann. Gemeint ist das von Fritz Leonhardt erstmalig für den Fernsehturm entwickelte Ringfundament als tragender Unterbau mit einer Kernweite von 27 Metern. Ähnlich wie bei einer liegenden Fahrradfelge sorgen Drahtstähle für die nötige Spannung und Festigung des Fundaments, welches die enormen Kräfte des sichtbaren Turmes aushalten muss. „Unser Turm hat einen richtig ausgeklügelten Fuß“, sagt Andrä. Temperaturschwankungen, Wind und Sonneneinstrahlung hält der Turm laut Andrä problemlos stand.

Stuttgarter Pantheon

Dennoch müsse auch ein so raffiniertes Bauwerk unterhalten werden. „Naturgemäße Schädigungen an der Oberfläche müssen regelmäßig saniert werden“, erklärt er. 1995 erhielt der Fernsehturm eine Oberflächensanierung, 2005 wurde die Kanzelfassade erneuert, und pünktlich zum runden Geburtstag sind die Brandschutzmaßnahmen abgeschlossen worden.

Über die Lebensdauer des Turms muss sich laut Hans-Peter Andräs Diagnose keiner Gedanken machen. „Das Pantheon steht schon seit knapp 1900 Jahren“, sagt er. Über die Zukunft des Stuttgarter Wahrzeichens müssten sich die Menschen demzufolge erst in 1900 Jahren den Kopf zerbrechen. „Ich bin der Meinung, dass der Fernsehturm nur dann umfallen wird, wenn Menschen ihn, wie den Turm von Babel, abbrechen oder verkommen lassen.“