Steegmüller inmitten einiger seiner Stücke. Foto: Horst Rudel

Jörg Steegmüller baut einzigartige Kulissen und Figuren. Was seinem Atelier entspringt, hat Seele und Charakter – und ist weltweit gefragt. Eine Geschichte von Seeschlangen, Magie und Hollywood.

Stuttgart - Svalgur zeigt seine gewaltigen Zähne. Im Maul der Seeschlange hätte ein ausgewachsener Mensch problemlos Platz. Wer die Lobby des neuen Hotels „Krønasår“ im Europa-Park betritt, schaut direkt auf das einschüchternde und zugleich sagenhafte 34 Meter lange Gerippe samt riesigem Schädel, das über mehrere Stockwerke von der Decke hängt. Woher nur stammt dieses urzeitliche Geschöpf?

Nicht aus den Tiefen des Meeres. Sondern aus der Fantasie und der Werkstatt eines ganz besonderen Mannes. Vor den Toren Stuttgarts, in einem Gewerbegebiet am Rande von Ostfildern-Ruit, hat er sein Reich. Was dort entsteht, sprengt häufig jede Vorstellungskraft – und wird doch ganz irdisch zum scheinbaren Leben erweckt. Zum Beispiel aus einem großen Styroporklotz.

Jörg Steegmüller legt das Werkzeug zur Seite und schüttelt sich das weiße Material aus Haaren und Schürze. Er modelliert gerade den Kopf eines Dinosaurierbabys für eine Schwarzlicht-Minigolfanlage. Ohne Skizze, direkt am Objekt. Von Hand. „Zuviel Technik führt zu Einheitsbrei. Vorgefertigte Schablonen haben nicht dasselbe Potenzial und Leben wie echte Materie. Ein Knödel Ton oder ein Stück Styropor sind am Anfang nicht magisch. Aber sie können Kultobjekte werden“, sagt Steegmüller.

Einer von wenigen Spezialisten weltweit

Der 45-jährige Stuttgarter weiß, wovon er spricht. Und er greift nicht zu hoch. Bildhauer und Modelleur für animatronisch-technische Figuren und Schaustücke nennt sich sein Beruf offiziell, doch Skulpteur ist ihm lieber. Steegmüller baut vollbewegliche Puppen, Figuren, Requisiten und Kulissen für alle Anlässe. In dieser Breite ist weltweit kaum ein anderer aufgestellt. „Ich selbst kenne niemanden“, sagt er. Mit vielen Spezialisten für einzelne Bereiche arbeitet er regelmäßig zusammen. Die besondere Branche ist eng vernetzt. Neben zwei Festangestellten gehören mehr als 30 Leute zu seiner Mannschaft, die er projektbezogen zusammenstellt. „Sie alle sind genial“, sagt der gelernte Grafikdesigner.

Viele Freizeitparks gehören zu seinen Kunden, Fernseh- und Filmproduktionen oder Firmen, die ein Maskottchen brauchen. An Roland Emmerichs „Der Patriot“ hat Steegmüller einst mitgewirkt, im „Tigerentenclub“ erzählt, worauf es beim Bau von Geisterbahnen ankommt. Schon mehrfach hat er die „Soko Stuttgart“ ausgestattet oder sein Atelier zur Verfügung gestellt. „Wir haben schließlich auch Leichen im Keller“, sagt der Herr der Puppen und schmunzelt. In den Untergrund steigen muss man dafür nicht – in diesem Fall liegt eine davon oben auf einer Vitrine. Täuschend echt.

Steegmüller ist vielseitig. Er arbeitet mit sämtlichen Materialien, die sich eignen. Und für die unterschiedlichsten Auftraggeber. Im Blühenden Barock in Ludwigsburg hat er vor einigen Jahren Dornröschen neues Leben eingehaucht. Mit Ton, Kulisse, Beleuchtung und Drehbühne. Für Loriot hat er zu dessen 85. Geburtstag den berühmten Badewannen-Sketch der Herren Müller-Lüdenscheidt und Dr. Klöbner mit Bronzefiguren nachgebaut. An der Seeschlange Svalgur hat das Team vier Monate lang gearbeitet.

Ein Maskottchen fürs Mercedes-Museum

Derzeit gestaltet er für eine Offenburger Brauerei ein Modell des früheren Firmengeländes, das ausgestellt werden soll. Die Kostüme des VfB-Maskottchens Fritzle sowie dessen Hoffenheimer und Wolfsburger Kollegen kommen aus seiner Werkstatt. Und aktuell hat Steegmüller den Auftrag, für das Stuttgarter Mercedes-Benz-Museum ein Maskottchen zu entwerfen. Das Gebäude selbst soll dafür Pate stehen. Es solle im nächsten Jahr der Öffentlichkeit präsentiert werden, sagt eine Sprecherin des Automobilkonzerns. Alles andere ist noch geheim.

Wer das Atelier im grauen Gewerbegebiet betritt, taucht augenblicklich in eine andere Welt ein. Hunderte Köpfe lagern in Regalen, Werkzeuge, Kostüme, Materialien. Nachbauten von berühmten Filmfiguren etwa aus der Star Wars-Saga finden sich da. „Fingerübungen“ nennt der Skulpteur solche Repliken. Doch auch viel Originales nennt Steegmüller, nebenbei auch Sammler, sein Eigen. Das Hook-Kostüm etwa aus dem gleichnamigen Hollywood-Streifen, das Dustin Hoffman getragen hat. Oder Originalteile aus Krieg der Sterne.

Einiges davon will Steegmüller vom nächsten Frühjahr an in einem kleinen Museum in Nebenräumen der Werkstatt der Öffentlichkeit zugänglich machen. „Magie der Objekte“ soll es heißen. Auch Captain Hook wird dabei sein. Dem Zufall überlässt der Perfektionist Steegmüller dabei nichts. Die Stimme der sprechenden Figur stammt von Joachim Kerzel, dem deutschen Synchronsprecher von Dustin Hoffman. Es wird viele animatronische Puppen geben, eine selbst erfundene Geschichte, einen Film und zahlreiche interaktive Elemente. Dazu Porträts. „Sie sind eine große Herausforderung. Sie müssen die Seele und das Typische des Charakters darstellen“, sagt der 45-Jährige.

Erster eigener Film schon als Jugendlicher

Soviel Fantasie und Einfühlungsvermögen muss man wohl in die Wiege gelegt bekommen. Und tatsächlich stammt Steegmüller aus einer Familie, die seine schon zu Kinderzeiten überbordende Kreativität gefördert hat. Mit dem Vater, einem Schauwerbegestalter, war er auf Messen unterwegs. In dessen Werkstatt konnte er jede Menge Materialien ausprobieren. Schon früh bastelte Steegmüller Marionetten, zeichnete Comics und erfand Geschichten. Als Teenager drehte er seinen ersten Film – mit 300 selbst gebauten Figürchen.

Heute ist er selbst Vater. Nicht von ungefähr lädt er immer wieder Kinder auf einen Besuch in seine Welt ein. Denn inzwischen, fürchtet er, wachsen viele nur noch mit dem Blick auf ein Display auf. „Das Erste, was Kinder inspiriert, sollte nicht aus dem Computer kommen, sondern etwas Handgemachtes sein“, sagt er. Etwas Geknetetes oder Gezeichnetes sei für Kinder viel besser nachvollziehbar.

Kinder mit Handgemachtem inspirieren

Auch im Filmbereich gibt es ihm heute zu viel Kommerz. Seine Idole kommen aus einer anderen Epoche. „Michael Ende, Otfried Preußler oder Astrid Lindgren stammten aus einer Generation, die schlimme Zeiten erlebt und gleichzeitig viel humanistisch Wertvolles geschaffen hat.“ Er wolle mit seiner Arbeit selbst Kinder inspirieren. Denn das Leben ist echt, nicht computeranimiert. Eine Botschaft, die weit über den Puppenbau hinausreicht.

Svalgur hängt derweil am Haken. Das Gerippe der Seeschlange beeindruckt die Hotelgäste im badischen Rust bereits seit einigen Monaten. Und es wird nicht mehr lange allein bleiben. Ende des Monats öffnet die dazugehörige Wasserwelt „Rulantica“ ihre Pforten für Besucher. Auch dort, das darf man schon verraten, wird Svalgur eine Rolle spielen. Etwas kleiner zwar, aber immer noch stolze acht Meter groß. Und er wird wirken, als sei er soeben aus den Tiefen des Meeres emporgestiegen.