Auf der Bühne des Stuttgarter Schauspiels zuhause: Die Bühnenmeisterin Carolin Fuchs. Foto: Lg/ Kovalenko

Wenn Carolin Fuchs erzählt, dass sie am Theater arbeitet, hört sie fast immer die gleiche Reaktion: Ah, Schauspielerin! Falsch. Die 28-Jährige spielt zwar auf der Bühne des Stuttgarter Schauspiels eine Hauptrolle, aber eine ganzandere als gedacht.

Stuttgart - Am Abend wird „Der Raub der Sabinerinnen“ gegeben. Jetzt, am Mittag, deuten nur drei riesige korinthische Säulen, abgeschoben auf die Seitenbühne, darauf hin, dass eine mythologische Geschichte aus dem alten Rom dem Schwank von Paul und Franz von Schönthan seinen Titel gab. Aber eigentlich geht es in erster Linie um das Theater. Mit allen komödiantischen Verwicklungen dieses Genres. Da ist schwer was los auf der Bühne. Dass auch technisch alles klappt wie am Schnürchen, die Ledersessel, Tisch und Klavier da stehen, wo sie hingehören, und wieder verschwinden und am Ende die drei Säulen in Zeitlupe umstürzen: Dafür ist Carolin Fuchs, Bühnenmeister am Schauspiel Stuttgart, verantwortlich.

„Vier große Umbauten und drei kleine auf offener Bühne“, zählt die junge Frau die Einsätze bei dieser Inszenierung auf. Am Nachmittag wird aufgebaut, nach der Vorstellung abgebaut. „Wir arbeiten das ganze Jahr bis auf wenige Ausnahmen in zwei Schichten“, sagt sie. Die Frühschicht baut für die Probe auf und ab, betreut diese und baut anschließend wieder ab. Das gleiche übernimmt die Spätschicht für den reibungslosen Ablauf der Abendproben oder der Vorstellungen. Selber schleppen, ziehen, schieben und lupfen muss sie als Chefin der 46 Bühnentechniker nur noch selten. Aber sie hat es lang genug gemacht, um zu erfahren: „Die oft tonnenschweren Bühnenbildelemente sind für die weibliche Anatomie nicht gemacht.“

Auch ein Meister fängt mal klein an

Das ist der simple Grund dafür, dass Frauen zwar die Kostümabteilungen und Maskenbildnereien dominieren aber kaum in den technischen Abteilungen arbeiten. „Es ist ein Männerberuf“, räumt Carolin Fuchs ein, „aber die Frauen werden auch hier immer mehr.“ Trotzdem muss man vermutlich lange suchen an deutschen Theatern, bis man eine geballte Frauenpower wie in Stuttgart findet. Denn hier gibt es mit Luise Weidner sogar eine Technische Direktorin am Schauspiel. Und eben Carolin Fuchs als eine von vier Bühnenmeistern. Im hierarchisch strukturierten Personalgefüge des Theaters ist dies eine Spitzenposition – sozusagen eine Hauptrolle.

Auch dieser Meister fällt nicht vom (Schnürboden-)Himmel, sondern fängt erst mal klein an. Als Bühnentechniker. Der Volksmund sagt dazu Kulissenschieber. Wie kommt man als junges Mädchen auf diese Berufswahl? „Es war der pure Zufall“, erzählt die Berlinerin. Denn mit Theater hatte sie rein gar nichts am Hut, umso mehr mit Sport: Judo und Triathlon. Und einem Handwerk als Berufswunsch. „Eigentlich wollte ich eine Lehre als Bootsbauer ma-chen, aber in Berlin gab es dafür keinen geeigneten Ausbildungsbetrieb.“ Also statt-dessen das Schreinerhandwerk. Auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz landete sie bei der Stiftung Oper Berlin, dem Werk-stattkomplex für alle Berliner Opern. Theaterleute sind Nomaden, und auch für Carolin Fuchs begannen danach die Wanderjahre. Zuerst kam sie als Bühnentechnikerin nach München an die Kammerspiele. Hier erlebte sie auch das Bühnenbild, das sie als bisher größte Herausforderung empfunden hat: Der Regisseur und Bühnenbildner Andreas Kriegenburg entwarf zu Franz Kafkas „Der Prozess“ den Bühnenraum als überdimensionales Auge, dessen Pupille als Spielort sowohl drehbar als auch von 21 auf 74 Grad zu heben und senken war.

Wissen und Leistung zählt

Dass sie nicht ewig Kulissen schieben konnte und wollte, war nicht der einzige Grund für ihren Ehrgeiz, mehr zu lernen: „Ich bin sehr wissbegierig“, sagt sie. Noch in München absolvierte sie eine Weiterbildung zur Bühnenmaschinistin und erlernte die Bedienung der computergesteuerten Bühnenmaschinerie. Während ihres Engagements an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg, der dritten beruflichen Station nach einem kurzen Zwischenspiel in Hamburg beim Musical „König der Löwen“, machte sie ihren Meister in Veranstaltungstechnik, Fachrichtung Bühne: „Ich bin siebeneinhalb Monate in Vollzeit zur Schule gegangen und habe abends am Theater gearbeitet, um diese Fortbildung zu finanzieren.“ Ja, es sei ganz schön hart gewesen. Als Stuttgart für das Schauspiel einen Bühnenmeister gesucht hat, konnte sie überzeugen.

Bühnenmeister oder Meisterin? Das ist ihr sowas von egal. Diese feministischen Kämpfe sind für sie Schnee von gestern. „Was zählt, ist Leistung und Wissen“, sagt sie selbstbewusst, „man muss fachlich kompetent sein und kann so auch sicher auftre-ten.“ Die Frage, ob die überwiegend männ-lichen Kollegen in ihrer Truppe ein Problem mit einer Chefin haben, traut man sich gar nicht mehr zu stellen. Und der entspannte Umgang, die gute Atmosphäre und der hörbar kollegiale Umgangston geben ohnehin längst die Antwort. Fürs Theater ist Carolin Fuchs längst Feuer und Flamme. „Ohne Begeisterung wäre dieser Beruf auch gar nicht zu machen“, sagt sie.

Carolin Fuchs kann auch Möbel schreinern

Zum Beispiel bei der Fünf-Stunden-Vorstellung des Stückes „Tschewengur“ von Andrej Platonov, das Frank Castorf inszeniert hat. Ein gewaltiger Brocken in jeder Beziehung, inklusive dem Bühnenbild von Aleksandar Denic mit einem Koloss von Lokomotive und einer Windmühle, kreisend auf der Drehbühne. „Das verlangt uns viel ab“, sagt sie. Da säßen in allen vier Ecken Bühnentechniker, um die Drehbühne und das Flügelrad der Windmühle zu beobachten und lebensgefährliche Kollisionen zwischen Mensch und Maschine zu verhindern.

Aber sie wusste, was auf sie und ihre Mannschaft zukommen würde: „Die Bühnenbildner kommen mit den Zeichnungen oder Modellen, und man redet über Materialien, Gewicht, Bauzeiten für die Werkstätten, Sicherheit, Geld und Machbarkeit.“ Und was macht die neue Drehbühne? „Be-triebsgeheimnis“, bleibt Carolin Fuchs die Antwort schuldig. „Tschewengur“ steht freilich zur Zeit nicht auf dem Spielplan.

Carolin Fuchs ist 2013 zeitgleich mit Schauspiel-Intendant Armin Petras nach Stuttgart gekommen. Petras wird das Haus 2018 verlassen. Und sie? Ihr gefällt’s in Stuttgart. „Die Bühnentechniker sagen immer, wir haben viele Intendanten kommen und gehen sehen.“ Sollte sie doch einmal theatermüde werden, kann sie immer noch Möbel schreinern. Auf ihr Gesellenstück, einen Couchtisch aus Kirsche für die Mama in Berlin-Treptow, ist sie heute noch stolz.