Ein Urlaubsziel, das näher rückt: Die Alpen in Österreich. Foto: dpa/Frank Kleefeldt

Bei den meisten Reisebüros herrscht derzeit das blanke Entsetzen. Der Nahurlaub wird wieder attraktiver, sagen Vertreter der Branche.

Stuttgart - Reisefachleute sind darauf spezialisiert, ihren Mitmenschen die schönsten Urlaubswochen in die Realität umzusetzen. Doch was sie derzeit erleben, ist ihr ganz persönlicher Albtraum: Stornieren und nochmals stornieren ist jetzt ihre einzige Aufgabe, Tag für Tag. Bei manchen dringt die Verzweiflung regelrecht aus den Telefonhörern im Gespräch mit ihnen.

„Kommen Sie doch mal zu uns zu einem Besuch. Der Flughafen ist eine Geisterstadt. Kein Mensch ist hier mehr unterwegs. Nur noch ein Supermarkt und eine Bäckerei haben geöffnet.“ Salih Ibak hat das doppelte Pech, dass sich sein Reisebüro direkt im Flughafengebäude befindet. Seit Wochen sammelt er nun schon eine Absage nach der anderen. Seit dieser Woche hätte der Flughafen ohnehin geschlossen wegen Renovierung der Start-und-Lande-Bahn, doch schon einige Wochen davor haben die Fluggesellschaften ihre Starts und Landungen radikal reduziert. „So was habe ich noch nie erlebt. Und ich bin schon seit mehr als 20 Jahren im Geschäft“, stöhnt Ibak.

Viele Fragen in der Bevölkerung und keine Antworten

Das sind die Fakten in seinem SD Reisebüro: Bis Ende Mai sind erst mal sämtliche Aktivitäten abgesagt. Wie es dann weitergeht? „Das Problem ist, dass es an Transparenz mangelt. Die Menschen glauben viel, aber sie wissen wenig“, so Ibaks Einschätzung. „Die Stimmung in der Bevölkerung ist ja gar nicht so schlecht. Aber es gibt zu viele Fragen und keine Antworten.“ Daran, eine neue Reise zu buchen etwa für den Winter oder nächsten Sommer, denke jetzt niemand. „Förderprogramme gibt es, auch für Betriebe wie meinen. Aber das läuft alles sehr schwer und zäh. Das Problem beginnt schon damit, einen Termin bei der Hausbank zu bekommen.“

Fassungslosigkeit herrscht auch in Bad Cannstatt. Dort ist Kraft Travel, ein Spezialanbieter für Reisen nach Russland und angrenzende Länder. Vor der schonungslosen Analyse seiner eigenen Situation muss Geschäftsführer Alexander Judin aber einfach noch hinweisen auf eines seiner Prunkstücke: eine Reise im Luxuszug Zarengold entlang der transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Peking. Doch wer will jetzt schon nach Moskau, erst recht nach Peking?

Gutscheine oder Geld zurück

Ansonsten lautet auch hier die Tagesarbeit: stornieren. „Wir geben das an unsere Kunden weiter, was wir von den Fluggesellschaften eben bekommen. Bei den einen ist es Geld, bei den anderen sind es Gutscheine“, so Judin. „Das ist eine einzige Katastrophe. Sonst beschäftige ich fünf Mitarbeiter, die sind jetzt alle im Zwangsurlaub.“ Nach vorne schauen sei Fehlanzeige. Judin: „Manche wollen, manche sprechen darüber, aber Entscheidungen gibt es nicht.“

Die Urlauber sind wieder zurück

Etwas mehr Gelassenheit vermittelt Rüdiger Berger, Geschäftsführer von Explorer Reisen. Die vielen Filialen wie auch jene in Stuttgart haben jetzt – natürlich – ausschließlich mit Stornierungen zu tun. Den Geschäftsführer in der Düsseldorfer Zentrale lässt aber etwas anderes leicht aufatmen: „Unsere Urlauber konnten wir so ziemlich alle wieder nach Deutschland zurückholen.“ Wer das Explorer-Angebot kennt, weiß, dass das nicht immer einfach war, denn da sind Reiseziele dabei, die sonst kaum gefragt sind. Da war zuweilen auch politische Diplomatie gefragt. Und gute Beziehungen: „Viele Fluggesellschaften haben ja den Flugbetrieb komplett eingestellt“, so Berger. „Aber es gibt auch noch einige wie Qatar Airways, die einzelne Flüge realisiert haben.“ Die Aufforderung, nach vorne zu schauen, ist auch hier noch verfrüht. Berger: „Es gibt ja Länder, die haben jetzt schon touristische Reisen bis zum Ende dieses Jahres untersagt“. Auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat davon abgeraten, jetzt bereits den Sommerurlaub zu buchen.

Neue Routen der Kreuzfahrtschiffe

Etwas mehr Bewegung in der Branche wird im Reisebüro Euro Lloyd ausgemacht. Freilich gilt erst mal der Vorbehalt: „Wann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem man sorgenfrei in ein anderes Land reisen kann?“ Und Gabriele Reminder-Schray, Geschäftsführerin von Euro Lloyd, gibt auch gleich die Antwort dazu: „Da wird wohl noch einige Zeit vergehen“. Doch Reminder-Schray gibt auch schon mal einen kleinen Einblick in das, was da so geplant wird: „Die Kreuzfahrt-Unternehmen arbeiten gerade Routen aus in Gegenden, die wohl nicht so betroffen sein werden, also die Nordländer. Aktiviert werden Reisen innerhalb von Europa mit dem eigenen Auto, Berghütten in Österreich beispielsweise werden wohl interessanter, auch für die Club-Formate. Und die Tui etwa hat ja eigene Flugzeuge, die könnten also auch schnell wieder aktiv werden.“ Wer da jetzt mit etwas Zuversicht bucht, kann auf attraktive Preisnachlässe hoffen. Reminder-Schray: „Wir wollen die Gelegenheit nutzen, so neue Kunden langfristig an uns zu binden. Da bieten wir auch kostenfreie Umbuchungen an.“ Ihr Optimismus ist offenbar ansteckend. „Ich bin immer wieder aufs Neue erstaunt, was für tolle Ideen gerade jetzt in diesen Wochen von den Mitarbeitern kommen. Da werden vor allem die Chancen gesehen.“ Euro Lloyd mit etwa 50 Beschäftigten sitzt im Breuninger-Stammhaus in der Stadtmitte sowie in Sindelfingen und Ludwigsburg. Aktuell sind die Büros spärlich besetzt. Aber Reminder-Schray ist zuversichtlich, dass sie einigermaßen gut durch diese Krise kommt.