Zu sehen im Theaterhaus: Die ehemaligen Stuttgarter Solisten William Moore als Romeo und Katja Wünsche in der Rolle der Julia Foto: Ballett Zürich

Ein Gastspiel des Zürcher Balletts beim Festival Colours bietet am Donnerstag Einblick in Christian Spucks Arbeit in der Schweiz. Auf dem Programm steht seine Version von „Romeo und Julia“ – und ein Wiedersehen mit den ehemaligen Stuttgarter Tänzern Katja Wünsche und William Moore.

Stuttgart - Mit Christian Spucks „Don Q.“ begann die Erfolgsgeschichte von Eric Gauthier im Theaterhaus. Jetzt kehrt der ehemalige Haus-Choreograf des Stuttgarter Balletts mit seiner eigenen Kompanie zurück.

Herr Spuck, Sie haben in Zürich gerade Ihre fünfte Spielzeit als Ballettdirektor beendet. Fühlen Sie sich bereits als alter Hase?
Nein, überhaupt nicht. Mein erster Vertrag hier in Zürich läuft nun aus. Wenn ich jetzt nach fünf Jahren mit meiner eigenen Kompanie für ein Gastspiel nach Stuttgart komme, wo ich meine Laufbahn als Choreograf begonnen habe, schließt sich für mich ein Kreis. Ansonsten fühle ich mich wie 2012, die Arbeit bleibt genauso aufregend wie am Anfang. Es kommt keine Ruhe hinein. Aber Ruhe passt auch nicht zur Kunst, zu ihr gehört eher die Aufregung. Routine ist der größte Feind der Kunst.
Für Tänzer ist die Routine des täglichen Trainings aber unumgänglich...
Ja, das ist die Crux am Tanz: Der Körper braucht die Routine des Trainings, um in Form zu bleiben. Daneben ist es für mich als Direktor und Choreograf wichtig, für kreative Spannung zu sorgen. Wenn eine Repertoirevorstellung völlig routiniert abgespielt wird, dann ist das langweilig. Ich verändere in Zürich meine Produktionen ständig durch kleine choreografische Eingriffe, durch Umbesetzungen, um jegliche Routine zu vermeiden. Wenn bei größeren Umbesetzungen sogar der Rest der Kompanie gespannt zuschaut, ist das toll.
Nächste Spielzeit kehren Sie nach Stuttgart zurück, um auch hier durch eine Neufassung Ihrer „Lulu“ keine Routine aufkommen zu lassen. Was hat Ihnen nicht mehr gefallen an Ihrem ersten Handlungsballett?
Es war ein Herzenswunsch von Reid Anderson, dieses Stück wiederzubringen; und es ist mein Geschenk an ihn, dies zu ermöglichen. Zudem ist es ein großes Entgegenkommen des Theaters, dass es für die Neufassung nochmal in die Tasche greift. Die Arbeit an „Lulu“ hatte viel Spaß gemacht. Es war eine tolle Zeit, in der die Kompanie richtig zusammengerückt ist. Damals ist sehr viel intuitiv passiert und hat sehr gut funktioniert. Aber wie das so ist mit ersten Werken: Man wird älter, reifer. Mit dem zeitlichen Abstand sehe ich auch Fehler, unsaubere Stellen, Unschärfen. Deshalb wird es kleine Änderungen an der Choreografie, am Bühnenbild und an den Kostümen geben. Im besten Fall wird das der Zuschauer gar nicht merken. In Zürich habe ich die Möglichkeit, Choreografien von Vorstellung zu Vorstellung weiterzuentwickeln. Eine Ballettproduktion ist etwas Lebendiges; Premiere heißt nicht, dass etwas danach ins Museum wandert.
Zu „Colours“ bringen Sie „Romeo und Julia“ mit. Warum gerade dieses Stück - suchen Sie das Kräftemessen mit John Cranko?
Es war Eric Gauthiers Wunsch, dass wir mit diesem Stück kommen. Ich freue mich sehr, ans Theaterhaus zurückzukehren. Es ist ein Ort, an dem ich bei der Arbeit an „Don Q.“ und „Poppea//Poppea“ eine große künstlerische Freiheit gespürt hatte. Natürlich wird man hier meine Version mit der Crankos vergleichen, aber das hat man von Angang an, und viel erinnert auch an Cranko. Mit ihm bin ich groß geworden, das ist meine künstlerische Heimat und dafür schäme ich mich nicht. Auch bei Gastspielen ist meine Version sehr gefragt und funktioniert großartig. Wir haben sie zum Beispiel in Bogota gezeigt oder in Tel Aviv, wo zum ersten Mal Frauen aus den palästinensischen Gebieten im Publikum sein durften.
Wenn Sie zurückschauen: Was ist ganz anders am Direktorsein als erwartet?
Ich bin ja auch Choreograf, und leider nimmt das Direktorsein doch sehr viel mehr Kraft und Zeit ein als gedacht. Immer wenn man glaubt, alles funktioniert, klopft ein großes Problem an die Tür. Aber in Zürich erfahre ich viel Unterstützung überall im Opernhaus, das macht die Sache leichter. Nach den ersten fünf Jahren nehme ich vieles gelassener; ich habe gelernt, dass man nicht jedes Problem sofort lösen muss. Am Anfang will man alles schnell und gut machen und neigt zu vorschnellen Entscheidungen.
Was war die größte Herausforderung: ein funktionierendes Ensemble zu formieren?
Ja, es war viel Arbeit, das Ensemble so aufzustellen, wie ich es haben wollte. Erst jetzt bin ich da angekommen, wo ich hin wollte. Aber diesen Zustand zu halten ist wie Sandburgenbauen in der Brandung. Ständig muss man nachjustieren, schauen, dass Persönlichkeiten zusammenpassen. Das ist bei einem kleinen Ensemble, in Zürich habe ich 36 Tänzer und 14 Junioren, noch schwieriger als bei einem großen.
Sie setzen in Zürich auf Namen, die Stuttgarter Ballettfreunden sehr geläufig sind - in dieser Spielzeit zum Beispiel auf Edward Clug, Marco Goecke, Cayetano Soto, Douglas Lee. Wie schwierig wäre es, ohne dieses Netzwerk auszukommen? Oder anders gefragt: Wie riskant ist es, Neues zu wagen?
Neues zu wagen ist immer schwierig, ich bin ständig auf der Suche. Es gilt Choreografen zu finden, die etwas zu sagen, die ein Credo haben und nicht nur schöne Schritte machen. Intensiver fördere ich gerade Benoit Favre und Filipe Portugal. Reid Anderson hat klug und früh die Choreografen entdeckt und nach Stuttgart geholt, die spannend sind. Da muss man erst jemand finden, der noch nicht in Stuttgart war. Bei der Spielzeitplanung schaue ich auch auf das Ballett in Basel, damit dem Schweizer Publikum eine möglichst große Vielfalt an Namen geboten wird. Es ist nicht unbedingt das Stuttgarter Netzwerk, das den Spielplan hier bestimmt, Jirí Kylián, William Forsythe und Hans van Manen habe ich persönlich erst in Zürich kennengelernt.
Wie ist das Zürcher Publikum? Was kommt an?
Große Titel und Erzählballette funktionieren wie überall auch in Zürich besser als gemischte Projekte. Aber wir waren Stand April bei einer Auslastung von 94 Prozent, die Begeisterung der Zuschauer spricht sich schnell herum. Der Abend mit Goeckes „Petruschka“ und Clugs „Sacre“ zum Beispiel war nach den ersten beiden Vorstellungen komplett ausverkauft. Und das Publikum im Opernhaus hat keine Berührungsängste: Am Ende von Ohad Naharins „Minus 16“, wenn Zuschauer auf die Bühne geholt werden, stehen die Leute Schlange und versuchen sogar die Tänzer zu manipulieren, damit sie ausgewählt werden.
Werden Sie in der Stadt schon erkannt?
Ja, und es ist schön, wie sich das Zürcher Publikum auch emotional bewegen lässt. Nach meiner Inszenierung von „Messa da Requiem“ haben mich wildfremde Menschen auf der Straße angesprochen und mir gesagt, wie sehr sie dieses Stück berührt habe. Einer fragte sogar: Darf ich Sie umarmen?
Ihr Folgevertrag läuft bis 2022. Haben Sie Pläne für die Zeit danach?
Nein, ich bin sehr glücklich hier. Aber ich sehe zwei Möglichkeiten: Freiberuflich als Choreograf zu arbeiten und vielleicht auch mehr Operninszenierungen zu machen; oder ein größeres Ensemble zu übernehmen.
Info: Christian Spuck wurde 1969 in Marburg geboren. Seine Ausbildung zum Bühnentänzer schloss er an der John-Cranko-Schule ab und ging danach nach Belgien, um mit der Needcompany und Rosas zu tanzen. 1995 kehrte er nach Stuttgart zurück; als Gruppentänzer des Stuttgarter Balletts schuf er erste eigene Stücke wie „dos amores“. 2001 wurde er zum Haus-Choreografen ernannt und gestaltete auch für andere Kompanien Handlungsballette wie „Lulu“, „Leonce und Lena“ und „Das Fräulein von S.“. Seit 2012 ist er Ballettdirektor in Zürich.
Das Zürcher Ballett zeigt „Romeo und Julia“ am 13., 14. und 15. Juli im Theaterhaus. http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.tanzfestival-colours-in-stuttgart-von-der-simplen-geste-zum-tanz.39d2a79a-3815-49a5-9877-f3e4c5c02b08.html http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.tanzfestival-colours-wie-aus-minus-plus-wird.af5e5525-6626-4bec-841b-d36afb0b0727.html http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.tanzfestival-colours-in-stuttgart-von-der-simplen-geste-zum-tanz.905b8cd0-2229-468f-9863-4840c203656f.html