Der Degerlocher Dinosaurier Gressly beeindruckt durch seine Größe Foto: Naturkundemuseum

Mit „Auf Spurensuche – Stuttgarter Entdeckungen“ wollen wir Geschichten aufspüren, die in den vielen Winkeln der Stadt verborgen sind. Wir schauen auf Orte, Fassaden, Kulturdenkmäler, die sich nicht sofort erklären. Heute: ein Dinosaurierfund in Degerloch.

Stuttgart - Der Dinosaurier hat sich zu seiner vollen Größe von zehn Metern aufgebaut, den kleinen Kopf auf dem langen Hals nach hinten geworfen und das Maul mit den spitzen Zähnen weit aufgerissen. Das Naturkundemuseum am Löwentor hat an diesem Tag geschlossen. Ohne Besucher, die durch die Welt des Sauriers stapfen, wirkt das lebensgroße Modell in seiner naturgetreuen Umgebung regelrecht bedrohlich. Dabei wäre das Urvieh auch zu Lebzeiten, also vor 210 Millionen Jahren, nicht an Museumsbesuchern interessiert gewesen, sondern nur an Pflanzen.

„Gressly“, wie ihn die Museumsmitarbeiter liebevoll nennen, ist ein echter Stuttgarter – und zwar der größte, der je gefunden wurde. Wegen seiner stattlichen Größe von über zehn Metern hielten Wissenschaftler ihn zunächst für eine eigene Art – den Gresslyosaurus. „Inzwischen geht man aber davon aus, dass es sich einfach um ein sehr großes Exemplar des Plateosaurus engelhardti handelt“, sagt Ursula Lauxmann, Paläontologin und Museumspädagogin im Naturkundemuseum. Dort leisten dem originalgetreuen Modell des Gressly noch zwei kleinere Artgenossen Gesellschaft. Die meisten der gefundenen Exemplare dieses Sauriers waren zwischen vier und acht Meter groß und wirken neben Gressly fast mickrig. Im Südwesten Deutschlands wurden die meisten Skelette dieser Art gefunden. „Daher wird der Plateosaurus auch schwäbischer Lindwurm genannt“, sagt Lauxmann.

Der Fund des Skeletts in Degerloch war eine Sensation

Als der Stuttgarter Zigarrenfabrikant Gottlieb Albert Reiniger allerdings im Jahr 1847 im Stuttgarter Stadtteil Degerloch nahe des Albplatzes Gresslys Knochen fand, galt das als Sensation: Er ist einer der ersten Funde eines fast komplett erhaltenen Skeletts, und bis heute eines der größten gefundenen Exemplare weltweit. Allerdings mit einem kleinen Schönheitsfehler: Gressly kam recht kopflos daher. „Es könnte sein, dass er in einem Wasserloch verendet ist“, sagt Lauxmann. Denn als Gressly durch das heutige Degerloch streifte, war das Klima dort sehr heiß und trocken, es wuchsen Palmfarne, Schachtelhalme und Nadelhölzer. Zeitgenossen wie Echsen, Schildkröten oder kleine, mausartige Säugetiere dürften dabei seinen Weg gekreuzt haben. Unterbrochen wurde die Dürre von kurzen, aber heftigen Regenfällen. Die Wasserlöcher, die sich danach bildeten, bargen für die durstigen Tiere Gefahren, etwa wenn sie abrutschten und sich aus dem sumpfigen Loch nicht mehr befreien konnten. Was für Gressly zum Verhängnis wurde, war ein Glücksfall für die Paläontologen: „Wenn Dinosaurier im Wasserloch versanken, konnten die Aasfresser das Skelett nicht zerstören und es wurde konserviert“, sagt Lauxmann. Die Größe des Degerlocher Lindwurms spreche jedoch dafür, dass er recht alt geworden ist. Der Plateosaurus laut der Expertin zwischen 40 und 50 Jahre alt werden: „Ein Plateosaurus ist sein Leben lang gewachsen – je größer ein Exemplar, desto älter war es demnach.“

Die Saurierbabys waren nur 20 Zentimeter groß

Sieht man zu dem riesigen Gressly auf, ist es schwer vorstellbar, dass auch er einmal als 20 Zentimeter kleines Saurierbaby aus einem Ei geschlüpft ist. „Im Verhältnis waren die Jungtiere wirklich sehr klein, deshalb mussten sie schnell wachsen, um außer Gefahr zu sein“, sagt Lauxmann.

Diese drohte den Kleinen beispielsweise von dem Fleischfresser Liliensternus, der ebenfalls vor 210 Millionen Jahren Stuttgart unsicher machte. Ein erwachsener Plateosaurus hatte dank seiner Größe jedoch keine Feinde mehr.

Inzwischen wissen die Experten, dass die fleischfressenden Exemplare – wie zum Beispiel auch der bekannte Tyrannosaurus rex – Federn hatten und sich im Laufe der Jahrmillionen zu Vögeln weiterentwickelten. Die Fleischfresser konnten dadurch bis heute überleben. „Man muss sich nur die Krallen von Wellensittichen oder Hühnern anschauen, um die Dinosaurier auch in den heutigen Tieren noch zu finden“, sagt Lauxmann. Vegetarier wie der Stuttgarter Gressly konnten sich allerdings auf Dauer nicht durchsetzen und verschwanden wahrscheinlich vor 65 Millionen Jahren von der Erde.

26 der in unserer Zeitung veröffentlichten Entdeckungen sind als Buch erschienen: „Stuttgarter Entdeckungen“, 1. Auflage 2015, 160 Seiten, 100 Fotos und Karten, Silberburg-Verlag Tübingen und Karlsruhe. Hrsg.: Stuttgarter Nachrichten, 14,90 Euro.