Bei der Akaflieg herrscht erhebliche Fluktuation, die Studierenden kommen und gehen. Und dennoch gibt es einen starken Zusammenhalt unter den Techniktüftlern. Foto: Akaflieg

Studierende der Universität Stuttgart haben über etliche Jahre in Eigenregie und zahllosen Stunden Arbeit ein Schleppflugzeug für Segelflieger entwickelt und gebaut. Nun steht der Jungfernflug der Maschine unmittelbar bevor.

Vaihingen - Ira Widmayer steht in der Werkstatt der Akaflieg am Pfaffenwaldringund ist sichtlich zufrieden. „Es ist schon etwas Besonderes, wenn man sagen kann: Wir haben zusammen unser eigenes Flugzeug gebaut“, stellt die 23-jährige Studentin der Luft- und Raumfahrttechnik fest. Damit meint sie nicht den Segelflieger, der, teilweise zerlegt, hinter ihr in der Halle steht. Widmayer spricht vom Motorsegler fs35, der „Harpyie“. Das gute Stück befindet sich derzeit in Schwäbisch Hall und harrt seines Jungfernfluges.

Schon der Name verheißt, dass es sich bei der Entwicklung der Stuttgarter um mehr als ein konventionelles Flugzeug handelt: Die Harpyie ist ein Greifvogel, der besonders schwere Beute tragen kann. Es wird von Exemplaren berichtet, die Ziegen in den Fängen hielten. Auch die fs35 zeichnet sich durch Stärke aus. Sie kann dank eines leistungsstarken Motors auch relativ schwere andere Segelflugzeuge schleppen. Die Akaflieg selbst brauchte ein Schleppflugzeug, das die Studierenden günstig und sicher in ihren Fliegern gen Himmel zieht. So wurde 2003 die Idee geboren, den Bau einer Maschine in Angriff zu nehmen.

Know-how wird weitergereicht

„Klassische Motorsegler sind für das Schleppen schwach motorisiert“, erklärt Michael Wagner (25). „Andererseits sind zugkräftigere Motorflugzeuge weniger effizient. Wir haben daher nach einer Lösung gesucht, die dazwischen liegt.“ Dafür galt es, die aerodynamischen Vorteile eines Reisemotorseglers beizubehalten und dennoch einen 155 PS starken Antrieb unterzubringen. „Die gesamte Motorinstallation wiegt rund 250 Kilo“, geht der Student ins Detail. „Das ist etwa ein Drittel des Gesamtgewichts unserer Schleppmaschine. Das bedeutete, die restlichen Komponenten leichter bauen zu müssen.“

Auch die Flugsicherheit sei gegenüber herkömmlichen Motorflugzeugen, insbesondere bei einem Motorausfall, höher, da die Gleitflugeigenschaften besser seien. Neben einem Sprechfunkgerät und analogem Fahrt- und Höhenmesser finden sich im Cockpit zwei digitale Displays mit künstlichem Horizont, wie in modernen Verkehrsflugzeugen. „Bei Problemen haben wir uns immer wieder mit den entsprechenden Instituten der Universität und erfahrenen Konstrukteuren bei Flugzeugherstellern in Verbindung gesetzt“, sagt Wagner. „Nun können auch wir erworbenes Know-how weitergeben.“

Fast 15 Jahre hat es von der Idee bis zum fertigen Flugzeug gedauert. Mehr als 60 Studierende haben geholfen. Die Gruppe wuchs und schrumpfte, Neuzugänge wurden von jenen eingelernt, die schon mehr Erfahrung hatten und die Uni irgendwann verließen. „Dieser Wechsel ist einer der Gründe für den langen Zeitraum von Entwicklung und Umsetzung“, sagt Akaflieg-Mitglied Roman Raabe (25). Das fehlende feste Budget sei ein anderer: „Für die Umsetzung so eines Projekts sind wir auf Firmen angewiesen, die uns mit Material unterstützen.“

Learning by Tüftling in der Gruppe

Für ihre Vision bringen die Studierenden vollen Einsatz. Der Richtwert für eine Mitarbeit beim studentischen Verein, in dem auch selbst geflogen wird, liege bei 400 Stunden im Jahr. Einige brächten es allerdings locker auf 1000. „In der Hochphase kann es schon sein, dass man täglich zehn Stunden in der Werkstatt verbringt“, verrät Michael Wagner. Neben dem Spaß an der Sache lohnen seiner Meinung nach auch die Praxiseinblicke, die die Theorie der Luft- und Raumfahrttechnik ergänzen: „Hier lernt man mehr, als wenn man nur für Klausuren im Flugzeugbau büffelt“, betont Wagner.

In wenigen Wochen wird ein professioneller Testpilot die Harpyie auf Herz und Nieren prüfen, damit eine Einzelstückzulassung erteilt werden kann. Er nimmt die Steuerbarkeit in der Luft und die komplexen Systeme der fs35 ehrenamtlich unter die Lupe. Kommerzielle Interessen haben auch die fliegenden Studenten nicht. „Wenn ein Hersteller unsere Idee aufgreifen möchte, sind wir natürlich offen für eine Zusammenarbeit“, überlegt Michael Wagner. „Wir haben aber nicht das Ziel, an den Markt zu gehen. Uns reizt der Weg ein neuartiges Flugzeug selbst zu entwickeln, zu bauen und danach zu fliegen.“ Während der Flugschein für ein Motorflugzeug teuer ist, genügt für die Harpyie eine weit erschwinglichere Aufbauschulung. Auch das ist ein ansprechendes Feature der Aka-Entwicklung, da sind sich die drei Aeroplan-Spezialisten einig.

So glücklich man mit dem startbereiten Ergebnis jahrelanger Arbeit ist: Bei der Akaflieg denkt niemand daran, die Hände in den Schoß zu legen. Ein neues Projekt steht bereits in den Startlöchern. Diesmal will man sich einem innovativen Leistungssegelflugzeug widmen. „Wir wollen sehen, was da noch herauszuholen ist“, zeigt sich Ira Widmayer begeistert.

Ihre Vorfreude gilt auch der Teamarbeit: „Wir sind eine coole Gemeinschaft“, schwärmt sie. „Von 370 Studierenden, die in unserem Fachbereich jedes Jahr anfangen, landen rund fünf bei der Akaflieg und können am Ende sagen, wir haben ein Flugzeug gebaut. Das ist schon etwas ganz Besonderes.“