Das Ensemble des Rampe-Projekts Foto: /Dominique Mahmoud

Aus dem großen Volksspektakel auf dem Marienplatz wird in Zeiten von Corona nichts. Doch das Laien-Ensemble des Theaters Rampe hat sich etwas Besonderes ausgedacht, um sein Stück am morgigen Donnerstag dennoch uraufzuführen.

S-Süd - Dem „Wunsch nach radikaler Öffnung kam sein nicht weniger radikales Gegenteil in die Quere: der Lockdown mit Kontaktsperre“, sagt die Dramaturgin des Theaters Rampe, Paula Kohlmann. Seit mehr als einem Jahr arbeitet sie mit zahlreichen Laien, semiprofessionellen und professionellen Theaterleuten am „Volks*Theater“-Stück. Doch statt des geplanten Spektakels auf dem Marienplatz wird es nun ein höchst exklusives Tête-à-Tête am Telefon. Denn die Premiere, der „Tag Y“, ist keineswegs abgesagt, sie findet am morgigen Donnerstag, 11. Juni, statt – wie versprochen, bloß eben ganz anders.

Von Leuten vor Ort gemacht

Das „Volks*Theater“ ist ein Projekt von Leuten aus dem Quartier für die Leute im Quartier – Rei’gschmeckte sind freilich willkommen. Es begann vergangenen Sommer, als das Rampe-Ensemble Passanten auf dem Marienplatz befragte, wie denn Theater sein müsste, damit sie gerne hingingen. Und die Leute durften auch selbst auf die Bühne: An drei Open-Stage-Abenden kredenzten Laien und Profis unterschiedlichster Sparten dem Publikum Tanz, Musik, Puppentheater, Konzeptkunst und Agitprop-Reden für lau. Aus dieser disparaten Truppe erwuchs schließlich ein 21-köpfiges Ensemble, das nun begann, über den Bezirk Stuttgart-Süd zu recherchieren und Geschichten zusammenzutragen. Ein kurioses Archiv entwickelte sich, dessen Register Anekdoten enthielten, lose Erinnerungen, Thesen, historische Begebenheiten, verblasste Träume und gemutmaßte Realitäten. Das Ensemble wob einen roten Faden hinein und verfasste ein Bühnenstück. „Es ist eine Collage aus den unterschiedlichsten Anliegen der Teilnehmer geworden“, sagt Paula Kohlmann. Uraufgeführt werden sollte sie auf dem Marienplatz.

Vielstimmiges Stück

Die Entstehungsgeschichte ist experimentell und passt zur heutigen Zivilgesellschaft. Früher hätte man vielleicht das Wort „volkstümlich“ gebraucht. Das ist aber nicht mehr möglich in Zeiten, da keine homogene Gruppierung existiert, die man als „Volk“ bezeichnen könnte, und man eher vom duldsamen Nebeneinander autarker Kleinsteinheiten ausgehen muss, deren Glieder sich nur zuweilen in spezifischen Echoräumen sozialisieren. Immerhin aber hat das Stück – ganz theaterüblich eine künstlerische Leitung, bestehend aus Nina Gühlstorf und Paula Kohlmann. Kohlmann beschreibt ihr Einwirken aber lediglich als „Kuratieren“ – einem derzeit beliebten Begriff, der aus dem Kunstbetrieb herübergeschwappt ist und ungefähr besagt: anordnen, was fertig reinkommt.

Zuschauer flanieren durchs Quartier

Die Sicherheitsbestimmungen in Zeiten von Corona sind für dieses offene und vielstimmige Gemeinschaftswerk eine harte Herausforderung. Doch 21 Köpfe fanden schließlich eine Lösung: Die Theaterbesucher kommen jeder einzeln im Viertelstunden-Takt und werden persönlich von einem Performer am Handy bespaßt. Der lotst sie dann quer durchs Quartier zu den Schauplätzen des Stücks, erzählt Geschichten und schlüpft in unterschiedliche Rollen: „Die Stimme am anderen Ende der Leitung erzählt von ihren Erinnerungen an den Marienplatz. Hier stand damals ein riesiger Zirkusbau, in dem Rosa Luxemburg sprach, gab es Aufmärsche der SA, der Platz wurde zum botanischen Garten erklärt und ist heute die Arena des Südens auf rauem Beton“, verrät schon mal der Programmzettel. Eine Stunde lang geht es so durch den Süden. Zwischenfragen sind in diesem Stück durchaus erlaubt, die Handynutzung sogar unerlässlich. Statt Applaus empfiehlt es sich nach hinreichendem Pläsier bei der Inszenierung den Soli-Eintrittspreis von einem Euro aufzustocken.

Das Prozedere: Man kauft per E-Mail (karten@theaterrampe.de) ein Ticket, hinterlässt die Handynummer und erhält einen Termin, zu dem man mit Kopfhörer und geladenem Akku fünf Minuten vorher am Theater, Filderstraße 47, erscheint. Termine gibt es am Donnerstag, 11. Juni, von 15 bis 20.30 Uhr. Weitere Aufführungen sind am 13.,14.,18., 20. und 21. Juni.