Zukunftsidee von Michael Russ: Überbauter Hegelsaal Foto: bildfreiheit/StN-Montage: Yann Lange

Seit Jahren wirbt der Stuttgarter Konzertveranstalter Michael Russ für den Ausbau der Hallenkapazitäten in Stuttgart.Die „Stuttgarter Nachrichten“ stellen jetzt Russ’ jüngste Idee vor. Die Überbauung des Hegelsaals -zunächst genutzt als Ausweichbühne für die Oper, dann als neue Konzerthalle im Stadtzentrum.

Stuttgart - Für manche Landes- und Kommunalpolitiker haben diese Begriffe an Glanz verloren – Michael Russ aber, über Jahrzehnte Präsident des Verbandes der Deutschen Konzertdirektionen, kann sich begeistern, wenn er davon spricht, dass „ein Leuchtturmprojekt entstehen“ und so ein „Alleinstellungsmerkmal geprägt werden“ könnte.

Opernsanierung als Chance

Die Notwendigkeit, das Stuttgarter Opernhaus grundlegend zu sanieren, sieht Russ als Chance, im Zuge einer möglichen baulichen Neuordnung des Staatstheater-Areals auch eine alte Fehlstelle zu schließen. Schon 2009 hatte Russ gewarnt: „Wir brauchen in Stuttgart unbedingt mehr Raum, um die Bedürfnisse der E- und der U-Musik abzudecken.“ Und er war noch weiter gegangen: „Unter den jetzigen Bedingungen“, so Russ damals, „kann ein Musikleben mit Qualität und Quantität auf Dauer nicht mehr funktionieren.“

Erst Ersatz-Oper. dann Konzerthaus

Das „Leuchtturmprojekt“, das Russ jetzt begeistert, würde während der Sanierung des Opernhauses – geplanter Beginn ist 2021 – als Interimsspielstätte genutzt: zuvorderst durch die Staatstheater, für Aufführungen der Oper und des Stuttgarter Balletts, „zu einem kleineren Teil“ aber auch für Konzerte. Nach höchstens fünf Jahren sollen Oper und Ballett wieder im Opernhaus zu erleben sein – dann wäre in der vormaligen Interimsspielstätte der Weg frei für die Umkehrung der Verhältnisse: vorrangig Konzerthaus, zugleich aber auch Bühne, um etwa weitere Abende des Stuttgarter Balletts zu ermöglichen.

Hier geht es zum Kommentar: Ein Weckruf für Stuttgart

Entsprechend aufmerksam hat Russ die jüngste Diskussion um mögliche Standorte für einen Interimsbau verfolgt. Für ihn ist klar: „Ein solcher Bau muss zwingend in die Innenstadt.“ Eine Absage an die Idee, eine Oper-Ersatzspielstätte auf Daimler-Areal neben dem Mercedes-Benz-Museum zu realisieren. Und was, wenn auch ein möglicher Standort auf bundeseigener Fläche am Planetarium ausscheidet?

Stuttgart muss nachziehen

Für Michael Russ ist das „fast schon die falsche Frage“. Für ihn ist die Annäherung an das Thema an sich „schlicht zu zaghaft“. „Stuttgart ist 2016 mit Blick auf die enormen Angebote und eine entsprechende Nachfrage erneut zur Kulturhauptstadt in Deutschland gekürt worden“, sagt Russ – und er warnt: „Aktuell verschieben sich die Kräfteverhältnisse deutlich.“ Die Elbphilharmonie (jetzt schon für 2017 nahezu ausverkauft) beschert Hamburg einen Boom, und auch der Bau einer neuen Konzerthalle in München führt schon vorab zu einer neuen Gewichtung des Städterankings.

„Stuttgart muss die Sanierung des Littmann-Baus nutzen, um nachzuziehen“, sagt Russ – und setzt dabei auf „eine architektonisch zwingend gute Lösung“. Wäre diese aber überhaupt finanzierbar? „Die Kosten der Sanierung (des Opernhauses) stehen noch nicht fest“, teilt das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst auf Anfrage mit. „Erst wenn über ein Umsetzungskonzept entschieden ist, können konkrete Kostenschätzungen angestellt werden. Hierbei müssen dann auch die Kosten einer Interimsspielstätte mit einfließen.“

Interim für Oper und Ballett noch nicht finanziert

Interimsbau für Oper und Ballett noch nicht finanziert

Und das Finanzministerium lässt auf Anfrage wissen: „Im Sanierungs- und Organisationsgutachten zum Opernhaus aus dem Jahr 2014 sind die Gesamtbaukosten für eine Interimslösung (hier über dem Eckensee im Oberen Schlossgarten) enthalten.“ Und weiter: „Aufbauend auf den Ergebnissen der Prüfung und Auswertung des Gutachtens erarbeitet unser Landesbetrieb Vermögen und Bau in Abstimmung mit der Stadt Stuttgart und den Württembergischen Staatstheatern eine Konzeption zur Umsetzung. Auf Basis der Konzeption kann eine weitere Aussage zu Kosten getroffen werden.“

Ein Blick in die durch die Theaterbau-Spezialisten Kunkel Consulting vorgelegte Bestandsaufnahme zeigt: die aktuell dokumentierten 342 Millionen Euro für die Sanierung und Teil-Neuordnung des Staatstheater-Areals zwischen Schauspielhaus und Landtag berücksichtigen zehn Millionen Euro für einen Interimsbau. Bei realistischen Zahlen für eine nachhaltige bauliche Struktur landet man dagegen schnell bei bis zu 40 Millionen Euro.

Nichts ausschließen, was technisch machbar ist

Die komplizierte Gemengelage sollte aus Sicht von Michael Russ jedoch eher Ansporn sein. „Vielleicht“, sagt er, „ist es eine spinnige Idee – aber warum überbauen wir eigentlich nicht den Hegelsaal des Kultur- und Kongresszentrums Liederhalle?“ Und er ergänzt mit Blick auf Entlastung vor allem für den Beethovensaal: „Warum sollten wir Dinge ausschließen, die technisch machbar sind?“

200 Konzerte gab es 2016 im Beethovensaal, nach der Fusion der SWR-Orchester zum SWR-Symphonieorchester hat sich zudem die Zahl der Probentage im Beethovensaal von 33 auf 63 nahezu verdoppelt. Auch für Kongresse und Tagungen fehlt Raum im KKL. Die Konsequenz? „Wir müssen jetzt den großen Sprung wagen“, sagt Michael Russ. Dass zuletzt wieder Bewegung in die Diskussion um den Interimsbau während der Opernhaus-Sanierung gekommen ist, beruhigt Russ kaum: „Es ist schon fast 5 nach 12“ sagt er.

FDP will Verlegung des Königin-Katharina-Stift prüfen

Die Rechnung ist einfach: „Wenn wir das Publikum halten wollen“, sagt Russ mit Blick auf die Möglichkeiten seines eigenen, mit Klassik-Stars wie Anne-Sophie Mutter oder den Berliner Philharmonikern punktenden Unternehmens SKS Russ, „muss unser Angebot hochkarätig sein.“ Dafür müsse aber auch „die Halle bereitstehen“.

Die Ideallösung mit Blick auf eine Mischnutzung mit den Staatstheatern? „Eine Halle unmittelbar am Standort“, sagt Russ. Dafür aber müsste das Königin-Katharina-Stift verlegt werden. Dem hatte Stuttgarts OB Fritz Kuhn (Grüne) eine Absage erteilt. Nun fordert die Stuttgarter FDP eine Machbarkeitsstudie – mit dem Ziel, am jetzigen Standort der Schule einen als Konzerthaus nutzbaren Interimsbau zu errichten und das Königin-Katharina-Stift auf der gegenüberliegenden Seite der Schillerstraße zu neuem Glanz zu bringen. Und wenn auch diese Debatte versandet? „Überbauen wir doch den Hegelsaal“, lacht Michael Russ.