Mehr als die Hälfte der Befragten halten das Ergebnis der Volksabstimmung zu S 21 im Jahr 2011 für weiterhin verbindlich. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Kanzlerin Merkel bezeichnete das Projekt einmal als alternativlos. Jetzt wollen in einer repräsentativen Umfrage zwei Drittel der Befragten, dass das Umstiegskonzept der Projektgegner mit dem Erhalt des Kopfbahnhofs ernsthaft geprüft wird.

Stuttgart - Der Baufortschritt auf der einen Seite und die zuletzt bekannt gewordenen Kosten- und Anhydritrisiken auf der anderen Seite haben die Zustimmung zum Projekt Stuttgart 21 nicht wesentlich verändert. In einer aktuellen, repräsentativen Umfrage halten 49 Prozent der befragten Baden-Württemberger das Projekt für richtig, 41 Prozent bewerten es als falsch. 2011 lagen diese Werte bei 50 und 35 Prozent – aus dem Lager der Unentschiedenen sind also einige in das der Gegner gewechselt. Auch in anderen Befragungen gab es in den vergangenen Jahren immer wieder eine knappe Mehrheit für S 21.

Ein Sprecher der S-21-Projektgesellschaft erklärte auf Anfrage, dass die Bahn Umfragen, die sie nicht kenne, nicht kommentiere. Zudem baue sie das Gemeinschaftsprojekt auf der Grundlage des mit den Partnern Land, Stadt und Region 2009 geschlossenen Finanzierungsvertrags und unabhängig von Umfrage-Ergebnissen.

Die weiteren Aussagen der vom Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap im Auftrag des Berliner Politikwissenschaftlers Peter Grottian durchgeführten Umfrage sind durchaus widersprüchlich. Trotz der stark gestiegenen Kosten halten einerseits 54 Prozent der Befragten die Volksabstimmung für verbindlich für Land und Stadt. Andererseits wollen 63 Prozent, dass das Umstiegskonzept der S-21-Gegner mit dem Erhalt des Kopfbahnhofs ernsthaft von der Politik geprüft wird.

Kritik an Kretschmann

Grottian, emeritierter Professor am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und erklärter S-21-Gegner, sieht mit der Umfrage vor allem Ministerpräsident Winfried Kretschmann unter Druck. Während es unter den Anhängern von CDU und von SPD mit 62 zu 31 und 58 und 36 Prozent eine Mehrheit der Befürworter gibt, halten bei den Grünen-Sympathisanten nur 38 Prozent das Projekt für richtig, 51 Prozent halten es für falsch. „Kretschmann hat ein eindeutiges Akzeptanzproblem auf dem Feld von S 21“, schlussfolgert Grottian.

Verstärkt werde dies noch dadurch, dass 69 Prozent der Grünen-Parteigänger fordern, dass das Umstiegskonzept ernsthaft geprüft werde – deutlich mehr als bei Sympathisanten der SPD (63 Prozent), CDU (57) und FDP (53). Unter AfD-Anhängern ist dieser Wert mit 70 Prozent am höchsten.

Eine Prüfung des Konzepts mit dem bestehenden Kopfbahnhof wird im Übrigen in allen Bevölkerungsgruppen von einer klaren Mehrheit unterstützt, selbst unter den S-21-Befürwortern sind 49 Prozent dafür und 47  Prozent dagegen. „Das ist eine sensationelle Aussage“, meint Werner Sauerborn vom Aktionsbündnis gegen S 21, der wie Grottian freilich irritiert darüber ist, dass gleichzeitig 54 Prozent der Befragten erklärten, sie hielten das Ergebnis der Volksabstimmung trotz der inzwischen eingetretenen Kostensteigerungen von 4,5 auf 6,5 oder sogar zehn Milliarden Euro für verbindlich. „Das ist eine Verbeugung vor diesem demokratischen Instrument“, glaubt Grottian.

Lebendige Debatte gefordert

In der großen Mehrheit für eine Prüfung der Alternativen drückt sich nach Meinung Grottians „die parteiübergreifend wabernde Sehnsucht nach einer vernünftigen Lösung aus“. Die Politik müsse diese Stimmung aufnehmen. „Das Parlament ist gefragt“, meint Grottian, die Fraktionen sollten sich gemeinsam für eine Anhörung über die Alternativen einsetzen. „Wir brauchen jetzt eine lebendige Debatte über Handlungsspielräume.“ Sauerborn verlangt, dass die Politik ihre starre Haltung aufgeben und in ernsthafte Gespräche über die Mängel von S 21 eintreten müsse. Die Politik und der Bahn-Aufsichtsrat müssten sich ein realistisches Bild von den Risiken bei Kosten und Bau machen und über weitere Schritte nachdenken. Das vom Aktionsbündnis ausgearbeitete Umstiegskonzept sei eine Einladung, sich mit diesen Fragen eingehend zu beschäftigen und „das Mantra des Weiter-so infrage zu stellen“.