Die heutigen Jugendfarm-Kinder haben die Gäste des großen Ehemaligentreffens mit bunten Darbietungen unterhalten. Foto: Caroline Holowiecki

Die Gründerin der Jugendfarm Elsental, Thyra Boehm, wäre vor Kurzem 100 geworden. Das wurde am Samstag mit einem großen Ehemaligentreffen gefeiert. Unzählige frühere Farmkinder und Mitarbeiter wollten sich das Wiedersehen nicht entgehen lassen.

Kaltental - Mit Sabine Boehm ein Gespräch zu führen, an diesem Samstag ist das schier unmöglich. Alle paar Sekunden fallen ihr Menschen um den Hals, herzen sie, wollen die Frau mit dem blonden Wuschelkopf nicht mehr loslassen. Mütter mit Babys auf dem Arm, Teenies, Mittfünfziger. Sabine Boehm kennt alle Vornamen. Das ist bemerkenswert, wenn man weiß, wie lang die Gästeliste an diesem Nachmittag ist. Mindestens 200 Menschen hat Sabine Boehm über Facebook ausfindig gemacht und eingeladen, die haben weitere kontaktiert. Eine riesige Party steht an in Kaltental.

Der Anlass ist ein Geburtstag, den die Jubilarin nicht mehr erlebt hat. 100 wäre Thyra Boehm dieser Tage geworden, doch Ende 2011 starb die Mutter aller Jugendfarmen. 1962 hatte sie im Elsental mit ihrem Mann Edgar die erste in Deutschland gegründet; ein Kinderparadies. Bis heute leben im Grünen ein Dutzend Pferde, Esel, Schafe, Ziegen, Hühner, Kaninchen, Hunde, Katzen. Und in dieser Bullerbü-Idylle werden Kinder und Jugendliche, unabhängig von ihrer Herkunft, nach den Prinzipien der Anthroposophie offen, in einer Kita-Gruppe oder in den Ferien betreut.

Alle Narben stammen vom Farmleben

Sabine Boehm gehört zu den Hauptamtlichen, die das Erbe ihrer Schwiegermutter weiterführen. Inger Hermann (78) aus Birkach, die älteste Tochter Thyra Boehms, erfüllt es bis heute mit Freude, wenn sie sieht, „wie viele Kinder hier glücklich sind“. Sie ist unter anderem mit der eigenen Tochter Almuth-Liesabell Knellwolf (43) und deren Tochter Amilja (8) gekommen, um zu feiern und zu gedenken. Acht Kinder sowie 23 Enkel und Urenkel hatte Thyra Boehm, und die Wahl-Schweizerin Almuth-Liesabell Knellwolf hat nur schöne Erinnerungen an ihre Zeit im Elsental. „Das war Leben. Mit allen Sinnen. Im Bach spielen, reiten, arbeiten. Es war eine glückliche Kindheit.“ Auch wenn das Leben auf der Farm, wie ihre Mutter Inger Hermann bekennt, durchaus primitiv war.

Sabine Boehm (r.) und Petra Melchinger Foto: Caroline Holowiecki

Aus Sabine Albrecht (56) sprudelt es ebenso nur so raus, wenn sie an die Zeit als Farmkind denkt. Übernachten im Stroh, spielen bis zum Einbruch der Dunkelheit, Lager bauen im Wald. „Es war eine bunte Gemeinschaft, kein Kind wurde ausgeschlossen“, sagt sie inmitten einer Gruppe von Männern und Frauen, die in den 70ern ebenfalls „Farmer“ waren. Viele von ihnen haben sich 40 Jahre nicht gesehen, aber die „irre glückliche Zeit“ hat alle zusammengeschweißt. So viele Erinnerungen, die ausgetauscht werden wollen. Stefanie Leitenberger (50), die mit ihrer fünf Jahre älteren Schwester Andrea gekommen ist, lacht. „Alle meine Narben sind von hier“, sagt sie, die anderen nicken kichernd. Darunter sei ein Loch, das eine Heugabel hinterlassen habe. Stefanie Leitenberger winkt lässig ab. Nichts, was ein Elsental-Kind aus der Ruhe gebracht hätte.

Sogar aus Portugal ist eine junge Frau angereist

Autos aus der Schweiz, aus Polen, aus allen Teilen Deutschlands parken an diesem Samstag am Elsenbach. Kinder reiten, Babys brabbeln auf Krabbeldecken, es gibt Kuchen, Fotokisten, Musik. Den weitesten Weg hat wohl Steffi Zacharias auf sich genommen. Sie ist aus dem portugiesischen Castelo Branco angereist – eine Woche Heimaturlaub in Kaltental inklusive. Von 1996 bis 2004 war sie Farmkind, hat danach, weil’s so schön war, ein FSJ drangehängt. „Ich verbinde meine ganze Kindheit mit der Jugendfarm“, sagt die heute 33-Jährige, hier habe sie mehr Zeit verbracht als daheim. „Leider haben viele Kinder heutzutage so was nicht mehr“, sagt sie.

Doch die Zeit geht auch am Elsental nicht ohne Spuren vorbei. Die Tage des alten Schafstalls sind gezählt. Nach dem Krieg war der zu einem Wohnhaus ausgebaut worden, ist aber mittlerweile so marode, dass er durch ein neues Gebäude ersetzt werden muss, in dem dann auch eine zweite Kita-Gruppe unterkommen soll, erklärt Sabine Boehm. Um die 600 000 Euro wird der Neubau kosten, etwa die Hälfte schießt die Stadt zu. Der Bauantrag ist eingereicht. Was unverändert bleibt, ist der Geist, der dort weht. Und das Motto, nach dem Stadtkinder dort im Grünen erzogen werden: „Jede schmutzige Hose spart uns ’ne Neurose.“