Sonst brechend voll, nun verwaist: Der Platz um den Hans-Im-Glück-Brunnen Foto: Julia Schramm

Um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, hat die Stadtverwaltung am Freitag angeordnet Clubs, Bars, Kinos und andere Orte des gesellschaftlichen Lebens zu schließen. Was macht das mit einer Stadt am Samstagabend?

Stuttgart - Daniela Häußer sitzt hinter der Glasscheibe ihrer Kinokasse und löst Kreuzworträtsel. Viel mehr gibt es im Metropol-Kino an diesem Samstagabend nicht zu tun. Eigentlich wäre heute „Der fliegende Holländer“ aus der Metropolitan Opera aus New York übertragen worden. Doch auch New York befindet sich im Ausnahmezustand. „Fast alle haben ihre Tickets heute schon zurückgegeben“, sagt Daniela Häußer. Bis 20 Uhr sitzt sie noch hier, dann ist erst einmal ungewiss, wann sie und die anderen Mitarbeiter der Innenstadtkinos an ihren Arbeitsplatz zurückkehren werden.

Was sich die vergangenen Tage angebahnt hat, ist jetzt Realität. Am Freitag um 13 Uhr hat die Stadtverwaltung die sofortige Schließung von Clubs, Tanzlokalen, Bars und Kinos angeordnet. Kultureinrichtungen haben schon davor verkündet, ihren Betrieb einzustellen. Das Coronavirus dimmt das gesellschaftliche Leben auf ein Minimum herunter. Vollbremsung für eine an Vergnügen und unbegrenzte Möglichkeiten gewöhnte Gesellschaft. Was macht das mit einer Stadt am Samstagabend?

Gastronomen stehen vor existenziellen Herausforderungen

Am Hans-im-Glück-Brunnen ist die Situation deutlich zu spüren. Drängen sich sonst junge Menschen vor den Bars Transit/Bergamo und Mata Hari, sind die Gassen vor den geschlossenen Gastronomiebetrieben wie ausgestorben. Nur im Deli sitzen vereinzelt Menschen, genauso wie im und vor dem Rubens. „Ich versuche mich nicht stressen zu lassen“, sagt Paul. Er sitzt mit Siggy aus dem schwedischen Göteborg vor dem Rubens. Beide haben einen Aperol Spritz vor sich stehen. Dass jetzt strikt gehandelt wird, finden die beiden richtig.„Aber das Treffen heute war mir einfach wichtig“, sagt Dorsch. Sonst sage er gerade alles ab. Die Unternehmungen mit Freunden am Freitag etwa. „Ich bin lieber zuhause geblieben.“ Vielleicht mache das alles etwas mit den Menschen, sagt er. „Wir merken jetzt, in was für einem krassen Luxus wir leben. Diese Einschränkungen sind wir nicht gewohnt.“ Vielleicht reflektierten die Menschen, wie gut es ihnen eigentlich geht.

Vielleicht kann das Paul Benjamin Scheibe auch irgendwann so sehen und etwas Positives aus der Situation ziehen. Im Moment fällt ihm dazu aber nur ein Wort ein: „Beschissen.“ Der Chef des Tattis sitzt mit seiner Belegschaft im Lokal und trinkt Frust-Bier. Normalerweise entscheiden am Samstagabend Türsteher, wer Einlass bekommt. Heute winken sie von drinnen entschuldigend ab, wenn jemand durch die Glastür blickt. Bis 18 Uhr hatte das Tatti geöffnet. Am Mittag sei das Café gut besucht gewesen. Jetzt war es das bis auf Weiteres.

Die Gastronomen sind durch die Corona-Pandemie und deren Folgen vor existenzielle Herausforderungen gestellt. Die Betriebe befänden sich in engem Austausch, sagt Scheibe. Es gebe große Solidarität untereinander und einen gemeinsamen Nenner: Gesundheit hat Vorrang. „Wir sitzen alle im selben Boot“, sagt auch Robin Giesinger, der die Puf Bar am Leonhardsplatz betreibt. Auch hier bleibt das Licht in den kommenden Wochen aus. „Klar schmerzt es uns, aber die Gesundheit und das gesellschaftliche Wohl gehen absolut vor.“

Die Restaurants sind wie leer gefegt

Die Restaurants haben geöffnet, sind aber spärlich besetzt. Lange vor Ende der Öffnungszeit sind Restaurants wie die Alte Kanzlei am Schillerplatz wie leer gefegt. Es ist 21 Uhr, und in der Trattoria Santa Lucia an der Steinstraße ist nur noch ein einzelner Tisch besetzt. Bald wird hier dichtgemacht.

Ins Restaurant zu gehen können sich Ramona, Janina, Samuel und Ronit sowieso nicht vorstellen. Die Studenten wollen tanzen. Die Samstagabendgestaltung ist in Zeiten der Corona-Pandemie eine Herausforderung. „Wir hatten uns verabredet, um in Stuttgart feiern zu gehen“, sagt Ramona. Als klar war, dass die Clubs geschlossen bleiben, wurde ein anderer Plan gefasst: Weißwein aus dem Supermarkt, Musikbox, Schlossplatz. Zuhause zu bleiben war nicht wirklich eine Option. Die Maßnahmen können sie verstehen. Wahr ist aber auch: „Fünf Wochen Zuhause chillen? Da drehe ich doch durch!“, sagt Samuel. Der 24-Jährige arbeitet derzeit in einer Kindertagesstätte, für ihn stellt sich nicht nur die Frage, was er an diesem Samstagabend machen soll, sondern auch die nächste Zeit. „Für uns junge Leute ist das wirklich blöd“, sagt Ronit. Ramona kann dem Ganzen aber auch etwas Positives abgewinnen. „Wir werden wieder kreativ. Wir packen Brettspiele aus oder kochen zusammen“, sagt sie. In den kommenden Wochen wird das die Alternative. Das Virus zwingt zur Entschleunigung. Nicht nur die Gruppe am Schlossplatz, sondern auch den Rest der Stadtbevölkerung.