Fachdienstleiterin Margitta Zöllner, Werkstattleiter Matthias Kochmann und Kai Christian Weisser (rechts), der erste Schützling des Reißleine-Projekts Foto: Susanne Müller-Baji

In der neuen Fahrradwerkstatt der Caritas an der Sankt-Pöltener-Straße sollen Ausbildungs-abbrecher den Wiedereinstieg in den Beruf finden.

Feuerbach - Großer Bahnhof in den Werkstätten der Caritas; dabei dreht sich beim Projekt Reißleine alles ums Rad: Am Donnerstag wurde die neue Fahrradwerkstatt an der Sankt-Pöltener-Straße 73 ihrer Bestimmung übergeben. Gemäß des Caritas-Mottos „Not sehen und handeln“ erhalten Abbrecher der Berufsvorbereitung „400+“ hier eine neue Chance: Mehrere Stunden täglich reparieren sie gespendete Fahrräder und finden so vielleicht doch noch Zugang zum Ausbildungsmarkt.

Der Bedarf ist da: Margitta Zöllner von der Fachdienstleitung des Caritas-Bereichs JAP (Jugend Arbeit Perspektive), der junge Menschen in Programmen wie „400+“ auf eine Ausbildung vorbereitet, berichtet, dass rund 40 Prozent der Teilnehmer abbrechen. Wer die Dinge schleifen lässt, öfter unentschuldigt fehlt, werde wie bei normalen Arbeitsverhältnissen abgemahnt, sagt Matthias Kochmann, der Leiter der neuen Fahrradwerkstatt: „Natürlich auf einem anderen Niveau, aber irgendwann ist doch Schluss.“

Neue Chance für Abbrecher

Bislang ging es dann zurück in die Arbeits- und Orientierungslosigkeit. Jetzt erhalten Abbrecher eine neue Chance, denn oft ist nicht Null Bock die Ursache, sondern Probleme im sozialen Umfeld oder Drogenmissbrauch. Das Projekt Reißleine kommt da zur rechten Zeit: Es verhilft den jungen Leuten wieder zu einem strukturierten Tagesablauf, sie gewinnen Einblicke in den Beruf des Zweiradmechanikers und entwickeln Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.

Dazu gibt es Hilfestellungen, etwa bei den Bewerbungen. Margitta Zöllner sprach bei ihrer Begrüßung auch nicht von Abbrechern, sondern von „Chancennehmern“. Die Teilnehmer hätten ja bereits die Notwendigkeit erkannt, an sich und ihren Problemen zu arbeiten.

Förderung durch private Sponsoren

So wie Kai Christian Weisser: Er arbeitet seit einem Monat in der Fahrradwerkstatt mit und erzählt von familiären Problemen. Jetzt hat er neuen Mut gefasst: „Ich muss mich abkapseln, es soll endlich weitergehen mit dem Leben.“ Er freut sich, dass er dazu beitragen kann, aus einem nutzlosen Ding wieder einen funktionierenden Gebrauchsgegenstand zu machen: „Wenn das Fahrrad, das vorher ja kaputt war, hier raus rollt – das ist was Tolles.“

Isabel Lavadinho von der Arbeitsförderung der Stadt Stuttgart lobte beim Festakt am Donnerstag die Förderung durch den Europäischen Sozialfonds und durch private Sponsoren: Jeder nörgle derzeit an Europa herum und vergesse dabei, welch sinnvolle Projekte es erst ermögliche. Den anwesenden Jugendlichen machte sie Mut: Ihre Mathenoten seien alles andere als gut gewesen; es sei wichtig, trotz aller Widerstände nicht aufzugeben: „Sie tun damit vor allem etwas für sich selbst.“

Kreative Ideen des Caritas-Teams

Bezirksvorsteherin Andrea Klöber lobte die kreativen Ideen des Caritas-Teams. Damit es genug zu schrauben gibt, habe die Polizei Fundfahrräder gespendet, auf die niemand Anspruch erhoben hatte. Künftig wird man außerdem an den Rädern arbeiten, die nebenan beim Sozialkaufhaus Fairkauf gespendet werden. Der Caritas-Direktor Raphael Graf von Deym hatte direkt einen Drahtesel mitgebracht: „Das Rad steht schon länger in der Garage und muss dringend überholt werden – ich habe es draußen im Auto.“

Und Weisser? Werkstattleiter Matthias Kochmann ist voll des Lobs für seinen Schützling: „Er ist freundlich, zuverlässig, macht gut mit – das wird!“ Noch einen Monat will der in der Werkstatt weiterschrauben, dabei Fahrrädern und vielleicht auch sich selbst zu einem neuen Leben verhelfen. Denn er will sich nun wieder um ein Praktikum und einen Ausbildungsplatz bemühen: Nach wie vor am liebsten als Schreiner. Durch die Erfahrungen in der Fahrradwerkstatt könnte er sich aber auch einen Beruf in der Metallverarbeitung vorstellen.