Kurt Heinz Lessig erklärt bei einer Exkursion, warum ein Lärmschutzwall ein wichtiges Biotop ist. Foto: Eileen Breuer

Für Menschen bedeutet ein Lärmschutzwall mehr Ruhe. Für Tiere und Pflanzen ist er indes eine Lebenswelt. Unterwegs zu einem Ort nahe einer Schnellstraße, an den sich kaum jemand hinverirrt, an dem allerdings trotzdem überraschend viel los ist.

Fasanenhof - Ein Neuntöter zieht am Himmel seine Kreise: Sein Revier ist der Lärmschutzwall, der die Anwohner im Fasanenhof vor dem Radau der B 27 schützt. Hier hat sich der Vogel, der mit dem schwarzen Gefieder um die Augen aussieht wie ein Bankräuber, eingenistet. Direkt neben der sechsspurigen Straße, auf der Autos mit Geschwindigkeiten um die 100 Kilometer pro Stunde entlangzischen, findet er Nahrung, Versteck und Aussichtspunkt. Er findet eine Nische an einem Ort, an den sich ansonsten kaum jemand hinverirrt. Für Kurt Heinz Lessig von der Ortsgruppe Vaihingen des Schwäbischen Albvereins ist der Wall ein Paradebeispiel dafür, wie man der Natur an ungenutzten Flächen etwas Gutes tun kann.

Der Neuntöter nimmt auf den Ästen eines Busches Platz, als eine Gruppe von Menschen sein Revier betritt. Lessig zeigt auf einer Exkursion zum Lärmschutzwall Mitwanderern, auf welche Arten von Pflanzen und Tieren man direkt neben der Autobahn stößt. In Sichtweiter dieser Trasse, die sich eigentlich alles andere als gut auf die Umwelt auswirkt, hat sich ein Biotop für Tiere und Pflanzen entwickelt.

Es gibt noch viele Grünstreifen, die sich verwandeln ließen

„Ich will zeigen, wie man ein Gelände, das nicht genutzt wird, ökologisch aufwerten kann“, sagt Lessig. Davon gibt es viele: Grünstreifen entlang von Straßen oder Verkehrsinseln sind neben Lärmschutzwällen nur zwei Beispiele für solche Flächen, die sich zum Begrünen anbieten.

Der gesamte Lärmschutzwall ist überwachsen mit Gräsern, Kräutern und Büschen. Gelbe Sprenkel sind in all dem bunten Wirrwarr auszumachen: das Labkraut. Früher wurde es zur Käseherstellung verwendet. Aber auch eine Lichtnelke findet sich direkt am Wegrand. Das ist eine Pflanze, die nachts aufblüht – ihr Nektar bietet den Nachtschwärmern unter den Schmetterlingen Nahrung. Und auch die wilde Möhre gedeiht am Lärmschutzwall zuhauf. Sie ist der Vorgänger der heutigen Möhre, ihre Wurzeln ähneln dieser allerdings nur vom Geschmack her, nicht aber in Bezug auf die Größe.

Vermutlich wurden damals Wildblumen ausgesät

Dass sich hier ein Artenreichtum an Pflanzen breitgemacht hat, liege laut Lessig vor allem daran, dass der Lärmschutzwall nicht gedüngt und außerdem nur einmal im Jahr gemäht wird: „Dadurch können die Pflanzen ihren Lebenszyklus vollziehen.“ Die meisten Pflanzen, die sich hier arrangiert haben, sind Trockenpflanzen. Sie benötigen nicht viel Wasser und brauchen die Sonne. Die Basis für solch einen Artenreichtum sei vor allem in der aufgeschütteten Erde zu finden, die eigentlich dazu dienen sollte, eine Barriere für den Lärm zu bilden: „Es war jungfräuliche Erde, die angekarrt wurde“, sagt Lessig. Er vermutet, dass nach dem Anlegen des Lärmschutzwalls Wildblumen ausgesät worden sind.

Von alleine ist hier übrigens nur wenig gewachsen: „Das ist keine natürliche Lebensgemeinschaft – es ist eine, die der Mensch angelegt hat. Und der hatte Glück, hier ein glückliches Händchen gehabt zu haben“, sagt Lessig. Um solche Orte des Lebens zu schaffen, sei es deshalb unabdingbar, Fachleute anzuheuern.

Von Falschem Majoran bis Leinsamen – alles da

Am Lärmschutzwall wächst Lein – bekannt sind die Leinsamen, die als heimisches Superfood ihren Weg in die Müslis finden. Hier kann man aber auch falschen Majoran pflücken. „Und das trotz Lärm“, sagt eine Teilnehmerin der Exkursion. Jutta Müllenhoff, die auch den Lärmschutzwall erkundet, findet diese Flecken Natur nicht nur wichtig für eine bessere Luft, sondern auch fürs Auge. Zwischen all den Häusern ist sie froh über das Fleckchen Grün: „Es ist wichtig, dass wir uns diese Paradiese erhalten“, sagt sie.

Nicht nur der Neuntöter und Schmetterlinge finden hier Nahrung. Selbst der Mensch kann naschen: Brombeerbüsche durchziehen die Anhöhe. Doch so lecker die Früchte auch sind: Die Büsche stellen eine Gefahr für die Artenvielfalt dar, überwuchern sie doch alle anderen Pflanzen. Es ist nicht nur wichtig, Biotope zu schaffen, betont Lessig deshalb: „Man muss sie auch pflegen. Und das ist die nächste Aufgabe der Stadt.“ Denn nur dann kann der Artenreichtum gesichert werden.