Teil des Konzepts fürs Trauerpastorale Zentrum war von Anfang an ein Kolumbarium, also Urnennischen. Die Frage ist noch: Wo genau sollen sie hin? Foto: dpa

Mit dem Trauerpastoralen Zentrum wollen die Katholiken in Stuttgart-Degerloch Maßstäbe setzen. Wer einen Verlust erlebt, stößt dort auf offene Ohren.

Degerloch - Die Morgensonne wirft einen Lichtkegel auf die dunklen Bänke. Die blauen, plüschigen Sitzkissen sind leer. Es ist werktags, kurz nach 9 Uhr. Die falsche Zeit für den Kirchgang. Außer für den alten Mann, der eine Münze in den Opferstock hat klacken lassen und sich dann für ein paar Minuten hingesetzt und innegehalten hat. Vorne der Altar, vier Stufen sind es bis nach oben. Die katholische Kirche von Mariä Himmelfahrt ist, wie man sich eine Kirche vorstellt. Es ist kühl, es riecht nach einem Mix aus Weihrauch und verloschenen Kerzen, es ist recht düster, und vor allem bei Sonnenlicht bezaubernd dank der bunten Fenstergläser.

Doch das, was eine Kirche einmal war, ist sie nicht mehr. Die Menschen haben sich geändert, die Wünsche, Sehnsüchte und Türen zur Spiritualität ebenfalls. Ein Pfarrer sieht sich heute eher auf Augenhöhe und nicht an einem Altar, der über dem Kirchenvolk thront. Und heute sitzt man lieber nicht mehr in Sitzreihen wie mit dem Lineal gezogen, sondern im Kreis. Deshalb wird sich wohl in Mariä Himmelfahrt einiges ändern. Das Kirchlein an der Karl-Pfaff-Straße soll ja ein Aushängeschild werden, ein neuer Maßstab.

Auch das Hospiz ist schon in Stuttgart-Degerloch

Das katholische Stadtdekanat hat die Degerlocher Gemeinde im Jahr 2014 für ein besonderes Projekt auserkoren. An der Karl-Pfaff-Straße soll ein Trauerpastorales Zentrum entstehen, etwas, das es so bisher nicht gibt in Stuttgart und auch sonst seinesgleichen sucht. Im Zuge des Projekts „Aufbrechens“, mit dem die Katholiken auf den Mitgliederschwund reagieren wollen, plant das Stadtdekanat drei Zentren: ein Jugendpastorales, ein Spirituelles und eben ein Trauerpastorales Zentrum. Letzteres passt aus Sicht der Verantwortlichen auch deshalb gut nach Degerloch, weil es unweit der Karl-Pfaff-Straße seit zehn Jahren das katholische Hospiz Sankt Martin gibt.

Die Leitung des Hospizes hat 2017 gewechselt. Auf Angelika Daiker folgte Margit Gratz. Mit abgeänderter Stellenbeschreibung: Margit Gratz spricht als Projektleiterin beim Trauerpastoralen Zentrum ein entscheidendes Wörtchen mit. In den vergangenen Monaten hat sie sich vor allem eingearbeitet. Inzwischen nehme das Konzept Formen an. Degerloch soll zu einem Ort werden, an dem Trauernde Hilfe finden. Vielleicht schon von 2020 an.

Bereits jetzt bietet das Hospiz ein gutes Dutzend Trauergruppen an. Die Nachfrage sei riesig, sagt Margit Gratz. Die Menschen wollen über Trauer reden. Und zwar nicht nur über die, die der Tod mit sich bringt. „Trauer taucht nicht erst auf, wenn jemand stirbt“, sagt sie. Wer den Arbeitsplatz verliert, wer eine geliebte Sportart an den Nagel hängen muss, wer seine Heimat zurückgelassen hat, bei wem eine Freundschaft zerbrochen ist – sie alle verbindet Trauer. In Degerloch können sie mehr über den Abschied lernen.

Überrollt der Trauertourismus das Kirchlein?

Die Ortswahl ist im Bezirk nicht nur gut angekommen. Vor allem am Anfang war die Debatte lebhaft. Kritiker sahen schon den Trauertourismus das Kirchlein überrollen. „Schön wär’s“, sagt Bernhard Bayer dazu. Als zweiter Vorsitzender weiß er, dass der Kirchengemeinderat dem Projekt neugierig und aufgeschlossen gegenübersteht. Eben weil sich etwas tun muss. Erstens sind die Kirchenbänke längst nicht mehr so gefüllt wie früher. Zweitens ist die Kirche ein Sanierungsfall. Das Dach ist undicht, die Heizung marode, die Wände auch. Wenn das Zentrum kommt, kommt auch Geld nach Degerloch. Und trotzdem gibt es die skeptischen Stimmen aus der Gemeinde. „Veränderung löst immer Sorge aus“, sagt Bayer. Und dazu zählt, dass sich die Kirche innen optisch wandeln könnte. Doch das ist nicht das einzige Thema, das zu Kontroversen geführt hat. Das andere ist, dass von Anfang an von einem möglichen kleinen Kolumbarium in der Kirche die Rede war. Dabei handelt es sich um Urnennischen. Diese Vorstellung kam nicht bei allen an.

Das Kolumbarium ist nicht aus dem Konzept gestrichen. „Aber es ist nicht auf die Kirche festgelegt“, sagt Margit Gratz. Zunächst müssten die Möglichkeiten fachmännisch überprüft werden. „Wir wollen noch nichts festzurren.“ Es gilt die Abmachung, dass der Kirchengemeinderat Ja sagen muss, bevor in der Kirche etwas verändert wird, sagt Bernhard Bayer. „Diese Zusage ist für die Gemeinde wichtig.“