Mancher Passant fühlt sich genötigt und zückt den Geldbeutel Foto: dpa//Oliver Berg

Der Sicherheitsdienst der SSB schickt Bettler regelmäßig aus der Stadtbahn-Haltestelle in Stuttgart-Degerloch fort. Die Caritas und die Dekanin Kerstin Vogel-Hinrichs plädieren indessen für Offenheit und Toleranz.

Degerloch - Die Frau ist hartnäckig. Immer wieder geht sie den Bahnsteig der Degerlocher Stadtbahn-Haltestelle auf und ab, in der Hand einen Pappbecher, und bittet die wartenden Fahrgäste um Geld. Dabei geht die auffällig kleine Frau mit der braunen Jacke immer gleich vor. „Hallo“, sagt sie leise, kommt dicht an die Wartenden heran, schaut ihnen eindringlich in die Augen und hält den Becher etwas höher. Manchmal fügt sie noch ein Wort an: „Kinder“, zum Beispiel.

Die meisten Menschen reagieren gleich. Etwas beschämt winken sie ab und vertiefen sich in ihr Smartphone. Manche nesteln nach einer Weile in der Jackentasche, zücken ihren Geldbeutel und werfen eine Münze in den Becher. Der Zeitpunkt ist günstig für die Frau: Es ist Montagmorgen, kurz nach 8 Uhr. Zu dieser frühen Stunde eilen im Minutentakt Fahrgäste in Richtung Bahnsteig. Ihre kurze Wartezeit nutzt die Frau dann, um sie anzusprechen.

Michael Krämer beobachtet das Treiben schon lang. Für den Betreiber des Bahnhofskiosks ist die Masche nichts Neues. „Das geht schon ewig so. Die Bettler wechseln sich ab. Mal ist einer mit Ziehharmonika unterwegs, mal einer, der die Leute etwas offensiver angeht“, so Krämer. Mit den Sicherheitsleuten von der SSB habe er vor Kurzem über das Thema gesprochen. „Sie haben gesagt, dass sie jetzt intensiver kontrollieren.“

Sicherheitsdienst schickt Bettler weg

Und tatsächlich sorgen zwei Bedienstete des für die SSB tätigen Sicherheitsdiensts VSD nur wenige Minuten später dafür, dass die Frau die Fahrgäste nicht mehr anbettelt. Diese Art des Bettelns sei verboten und verunsichere die Fahrgäste, sagt einer der beiden. „Es gibt Leute, die fühlen sich von dieser Art des aggressiven Bettelns unter Druck gesetzt und geben dann etwas“, sagt er. Das Vorgehen sei dreist: Oft würden kleine Kinder angebettelt und alte Menschen. Teils würden die Bettler in die Fahrscheinautomaten greifen und sich einfach das Rückgeld nehmen. Die bedrängten und beschämten Fahrgäste trauten sich dann oft nicht, das Geld zurückzufordern, sagt der Sicherheitsmann.

Die SSB hat das Problem erkannt. „Wir sind mittlerweile einmal pro Stunde in Degerloch“, ergänzt er. Mehr als wegschicken könne man die aufdringlichen Bettler aber nicht. Über die Wirksamkeit der Maßnahme machen sich die Sicherheitsmänner keine Illusionen: „Die Frau geht jetzt spazieren und ist in einer halben Stunde wieder da.“

Das Ordnungsamt untersagt es, dass Bettler aktiv auf Menschen zugehen, genauso wie das Betteln mit Kindern oder mit Demutshaltung. Vor sechs Jahren hat die Verwaltung eine Allgemeinverfügung erlassen, die diese Auswüchse unterbinden sollen. „Die Allgemeinverfügung besitzt weiterhin Gültigkeit und wird konsequent angewendet. Seitdem sie durch die Sicherheitsbehörden angewendet wird, ist die Zahl der Bettler rückgängig, sodass wir durchaus von Erfolgen sprechen“, sagt die Stadt-Sprecherin Anna Sendler.

Bandenstrukturen nur schwer nachweisbar

Viele Menschen hegen den Verdacht, dass vor allem aggressive Bettler Banden angehören. Laut der Polizei-Sprecherin Monika Ackermann ist es aber fast unmöglich, derartige Strukturen überhaupt nachzuweisen. Dass sich manch aggressive Bettler untereinander kennen, beweise jedenfalls noch nichts. Grundsätzlich rät die Polizei dazu, selbst zu beobachten und zu entscheiden, ob man etwas geben möchte oder nicht.

Die meisten Bettler indes fallen nicht in die Kategorie „aggressiv“. Die Caritas warnt in einer Handreichung zum Umgang mit dem Thema vor einer Pauschalisierung. „Für organisierte Bettlerbanden aus Südosteuropa oder die sogenannte ‚Bettelmafia‘ gibt es in Deutschland genauso wenig polizeiliche Belege wie für die weit verbreitete Anschuldigung des Sozialtourismus”, schreibt die Caritas. „Es handelt sich allenfalls um Einzelfälle. Menschen aus Südosteuropa betteln, weil sie keine Arbeit in ihrer Heimat finden.“

Die Degerlocher Dekanin Kerstin Vogel-Hinrichs plädiert für Offenheit und Mitgefühl. Beim Umgang mit Bettlern gebe es kein Richtig oder Falsch. „Manchmal gebe ich etwas, vor allem wenn Tiere dabei sind, die mitunter der einzige treue Freund dieses Menschen sind. Manchmal auch nicht“, berichtet die Dekanin. „Und natürlich weiß ich, dass ich damit eventuell die Bandenkriminalität unterstütze oder der Hund vielleicht nur ausgeliehen ist. Mich macht das Geld aber nicht wirklich ärmer, nach dem Bibelwort: Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.“