Es fehlt an Personal: Bauen in Stuttgart ist oft zäh, auch für die Stadt selbst, hier zum Beispiel an der Neuen Weinsteige. Foto: Lichtgut/Leif Piechowsk

Noch nie waren die finanziellen Reste aus dem Vorjahreshaushalt so hoch wie 2022. Der Finanzbürgermeister fordert vom Gemeinderat, Vorhaben zu priorisieren.

Die Landeshauptstadt hat das Haushaltsjahr 2021 mit einem Überschuss von 259,6 Millionen Euro abgeschlossen. Das sei „dem Grunde nach sehr erfreulich“ befindet Finanzbürgermeister Thomas Fuhrmann (CDU). Man sei „ganz gut“ durch die Coronapandemie gekommen. Stuttgarts obersten Kassenwart plagt allerdings ein Problem: Die Stadt schiebt vom Gemeinderat bereits seit Jahren oder neu im Doppelhaushalt 2022/23 beschlossene Investitionen vor sich her und bunkert dafür Geld. Die Bugwelle unerledigter Vorhaben ist inzwischen auf 963 373 677 Euro angeschwollen. Noch nie war sie so hoch.

Der Berg wächst Diese „investiven Reste“ werden Jahr für Jahr weiter geschoben. 2013 stand die Marke bei 300, vier Jahre später bei 545 Millionen Euro. 2019 wurden 718 Millionen Euro erreicht, im Vorjahr waren es 827 Millionen. Nun kratzt die Summe an der Milliardengrenze. Die Zahl ist ein Ausweis dafür, dass sich Verwaltung und Rat Jahr für Jahr weit mehr vorgenommen haben, als mit 16 000 Stellen in der Verwaltung und externer Hilfe abzuarbeiten ist. Der Berg an unerledigten Aufgaben wächst. Die Misere ist bekannt.

Berg an Unerledigtem immer höher

In anderen Städten, stimmte Fuhrmann vor dem Verwaltungsausschuss des Gemeinderats ein Lamento an, werde „konsequent gestrichen“, was nicht investiert worden sei, und müsse dann „neu beantragt“ werden. Dieser Mühsal unterziehen sich die Bürgervertreter bisher nicht. Alle zwei Jahre beraten sie über den Doppelhaushalt, dabei geht es um neue Vorhaben, nicht um Streichungen. Fuhrmanns Vorvorgänger Klaus Lang führte diesen Turnus ein, weil das zuvor jährliche Ringen um Projekte, mit denen die Fraktionen beim Bürger im Bezirk auch mal glänzen wollen, Monate in Anspruch und die Verwaltung stark in Beschlag nimmt.

Stadtrat Rockenbauch: Axt anlegen Inzwischen reift bei den Stadträten die Erkenntnis, dass man die Bugwelle in dieser Höhe nicht ewig weiterschieben kann. Entweder bringe man „mehr auf Baustelle“, so Handwerksmeister und CDU-Fraktionschef Alexander Kotz, man setze eine Periode lang mit neuen Investitionen aus, oder man beginne zu streichen. Das wäre nun völlig neu.

Wo soll man die Axt anlegen?

Jasmin Meergans von den Sozialdemokraten teilte die Erkenntnis von Kotz, einen Vorschlag brachte sie nicht ein. Hannes Rockenbauch, Fraktionschef des Linksbündnisses, dagegen wäre bereit, die Axt anzulegen – an Projekte, die ihm und seinem Bündnis ein Dorn im Auge sind, Stichwort Tunnelbau, Staatsoper, Neubau der Schleyerhalle. Dafür gibt es im Gemeinderat keine Mehrheit.

Es fehlt an Personal – trotz neuer Stellen Die großen unerledigten Brocken bei den Investitionen liegen im Baubereich, bei den Schulen (191 Millionen), dem Jugendamt (Kitaausbau, 82), dem Amt für Stadtplanung und Wohnen (99), dem Tiefbau- (116) und dem Liegenschaftsamt (180 Millionen). Koordinations- und Engstelle ist vielfach das Hochbauamt, zuständig Bürgermeister Dirk Thürnau (SPD). Der Trend aus den Vorjahren, eine sehr große Zahl von neuen Baumaßnahmen zu beschließen, habe sich für 2022/23 fortgesetzt, das Arbeitsvolumen sei „kontinuierlich und signifikant angestiegen“ und betreffe inzwischen nicht mehr allein die Schulen, sondern alle Bereiche, in denen das Amt als Baudienstleister tätig ist.

Flaschenhals Hochbauamt

Bürgermeister: Abarbeiten unmöglich

Das Hochbauamt hat 255 Planstellen, von denen 23 erst Ende 2021 neu geschaffen wurden. Aber 42 sind nicht besetzt, man konkurriert mit der freien Wirtschaft. Es sei „unmöglich, die für 2022 und 2023 beschlossenen Baumaßnahmen vollständig abzuarbeiten“, so Thürnau in seiner jüngsten Bilanz, „zwischen Auftragsbestand und personellen Ressourcen öffnet sich eine Schere“.

Daher wird manches zurückgestellt und frühestens 2024 angegangen werden. Sogar die Bauunterhaltung wird nun gestreckt. Von den jährlich bereitgelegten 18,5 Millionen würden nun 25 und 2023 dann 15 Prozent nicht umgesetzt werden. Dazu komme, dass mit dem Beschluss zur Klimaneutralität das jährliche städtische Bauvolumen vom Rat um 25 Millionen Euro ausgeweitet worden ist. Thürnau: „Die Klimasanierung konkurriert in den Personalkapazitäten mit dem alljährlichen Bauunterhaltunspaket“.

Bürgermeister will Priorisierung Die interne Ressourcenproblematik der Stadtverwaltung trifft extern auf eine noch ausgelastete Baubranche und erheblich steigende Preise. Fuhrmann hat daher einen Nachtragshaushalt für 2022 und eine Liste aller teurer werdenden Bauprojekte nach der Sommerpause angekündigt. Dann werde man „um eine Priorisierung nicht herumkommen“, versucht Fuhrmann den Rat auf ein Streichkonzert einzustimmen. Wobei: Stuttgart ist nach wie vor schuldenfrei. Der Druck zur Prioritätensetzung könnte also auch nach der Sommerpause noch nicht hoch genug sein.

Baupreise steigen stark