Rettungsversuche in einem Stuttgarter Tunnel im August 1972 Foto: /Feddersen

Vor 50 Jahren hat ein „Tropengewitter“ über Stuttgart getobt. Blitzschnell liefen Unterführungen voll – mit katastrophalen Folgen. Leserinnen und Leser schildern für unser Stuttgart-Album, wie sie den schwarzen Tag der Stadtgeschichte erlebt haben.

Der 15. August 1972 ist unvergessen – der Tag, an dem das Unheil über Stuttgart aus dem Nichts kam. Es war ein Dienstagnachmittag, als sich der Himmel über Stuttgart plötzlich schwarz färbte und ein Unwetter losbrach, das die Stadt in wenigen Minuten in eine Eiswüste verwandelte. Innerhalb von 20 Minuten, zwischen 15.40 und 16 Uhr, prasselten mehr als zehn Milliarden Liter Hagel und Wasser in den Talkessel. Auslöser war die extrem hohe Luftfeuchtigkeit. Mehr als 50 Liter Wasser und tennisballgroße Hagelkörner fielen auf jeden Quadratmeter, Erdmassen und umstürzende Bäume blockierten die Straßen, allein in den Tunnelröhren unter dem Charlottenplatz stauten sich 500 Kubikmeter Eis. Per Schlauchboot mussten eingeschlossene Autofahrer von der Feuerwehr gerettet werden. Abflussrohre waren verstopft.

„Mitten am Tag wurde der Himmel dunkellila“

Blitzartig füllten sich Kellerräume mit flüssiger Eismasse. Für sechs Menschen kam damals jede Hilfe zu spät. Für drei junge Männer einer Firma und einen Rentner kam jede Hilfe zu spät. Sie erstickten im Untergeschoss. Eine Hausfrau aus Stuttgart-Ost ertrank in einem Sturzbach an der Klingenstraße, der sie mitriss. Ein Rentner wurde von einem Blitz so erschreckt, dass er einen tödlichen Herzschlag erlitt.

Kaum ein Keller blieb trocken, fast die Hälfte des wertvollen Bestandes der Universitätsbibliothek wurde zerstört, wochenlang dauerten die Aufräumarbeiten, monatelang hatten die Versicherungen mit der Abwicklung des riesigen Schadens zu tun. Auf der Facebook-Seite unseres Stuttgart-Albums schildern Stuttgarterinnen und Stuttgarter, wie sie diesen schwarzen Tag erlebt haben. Birgit Klein schreibt: „Ja, die Bilder kamen mir auch wieder in den Sinn. Ich stand damals am Schillerplatz in Vaihingen, mitten am Tag wurde der Himmel dunkellila, dann ging’s los mit Hagel. Ich konnte mich gerade noch an der Straßenbahnhaltestelle unterstellen.“

Barbara Zander erinnert sich: „Bei uns war der Hagel etwa 30 Zentimeter hoch auf der Terrasse über drei Garagen. Zu sechst kippten wir den Hagel mit Eimern auf die Straße, da der Boden schon durchhing.“

„Hagelkörner zerschlugen die Markise in kleine Quadrate“

Martina Ma schreibt: „Ausgerechnet an diesem Tag ist meine demente Oma aus dem Seniorenheim ausgebüxt. Da es keine andere Möglichkeit gab, bin ich zu Fuß vom Stuttgarter Westen durch die Innenstadt, teilweise bis zum Bauch im Wasser, um sie zu suchen. In Stuttgart-Süd fand ich sie aufgeweicht an der Adresse, an der sie als Kind gewohnt hat. Alles ging gut, aber vergessen kann ich das nicht.“ So geht es auch Beate Lorenz: „Ich spielte mit meinem Papa Malefiz, als sich der Himmel beigegelb wurde. Später flogen uns die Hagelkörner um die Ohren und zerschlugen die Markise. Die Rollläden waren wie von MGs zerschossen. Die Aspergstraße wurden zu einem reißenden Fluss. Meine Mutter war unterwegs von Kaltental nach Gablenberg und hat geweint, als sie zuhause angekommen ist. Sie hat an der Haltestelle Waldeck einen Mann in den reißenden Fluten gesehen, der durch eine offene Autotüre gerettet wurde. Mutige Busfahrer haben die Haltestellen abgefahren und Leute mitgenommen. Ich erinnere mich jedes Jahr daran. Es war richtig schlimm.“ Danach sei kein einziges Blatt mehr an den Bäumen gewesen und keinen einzigen Vogel habe man sehen können, weiß Helmut Reik noch.

Parkende Autos schwammen auf der Theo in Richtung Bahnhof

Von Petra Wild stammt dieser Beitrag: „Wir Kinder hatten Mordsspaß, eine Rutsche im Waldheim herunterzurutschen und im Sandbad zu landen. Während bei unseren Eltern die Schlammwassermassen zur Hintertür hinein und zur Vordertür wieder hinausgeschwemmt wurden. Die Unterführungen waren voll mit Wasser, Autofahrer, die Schutz suchten, waren eingeschlossen.“

Alexandra Dieringer schreibt: „Wir hatten eine Souterrain-Wohnung, das Wasser stand knöcheltief in der Wohnung, aus der überlaufenden Kanalisation hoch gedrückt. Auf der Theo sind die parkenden Autos runtergeschwommen in Richtung Hauptbahnhof.“ Auch Katja Wagner vergisst diesen Tag nie: „Ich war noch ein Kleinkind, aber ich erinnere mich ganz dunkel daran, dass mein Kinderzimmerfenster eingeschlagen war. Ich hatte dadurch einen Albtraum, dass eine graue Hand durch dieses Loch im Fenster kommt.“

Vom Klimawandel wusste damals kaum jemand etwas

Damals wusste kaum jemand etwas vom Klimawandel. Die Lehren aus den fürchterlichen Folgen des Unwetters wurden gezogen. Wenige Monate später hat man die Pumpen in den Unterführungen an der B 14 verstärkt und Ampeln angebracht, die bei Überschwemmungen auf rot schalten. So sollte die Fahrbahn nicht mehr zur Falle werden. Viele fühlten sich vor einem Jahr beim Starkregen in Stuttgart an das Unwetter von 1972 erinnert. Erneut zeigte die Natur, wie unberechenbar sie ist.