Seit 2013 steht die Calwer Passage unter Denkmalschutz. Um sie herum bleibt kein Stein auf dem anderen. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Was beim Rotebühlplatz das Stadtbild geprägt hat, muss weichen. Der Abbruch bietet einen spektakulären Anblick. Heftig schlagen die Bagger zu – dürfen aber der Calwer Passage nichts antun. Das Baudenkmal ist mit Brettern geschützt.

Stuttgart - Zu den Motiven, die derzeit am häufigsten in Stuttgart fotografiert werden, zählt das Areal zwischen der oberen Theodor-Heuss-Straße, Calwer Straße und dem Rotebühlplatz. Ein steinernes Gerippe wird zerlegt. Wasserfontänen sollen die Staubbildung während des Abbruchs verringern. Die entfernte Fassade legt den Blick frei auf halb zerstörte Etagen und Zimmer.

„Das sieht aus wie im Krieg“, sagt ein Passant, zückt wie viele andere hier sein Handy und hält die Ruine fest, ehe die letzten Reste verschwunden sind. Bis Ende April soll der „Teilabbruch“ fertig sein, von dem auf dem Bauzaun zu lesen ist. Ein großer roter Punkt informiert über die „Teilbaufreigabe“.

Mit dem gesamtem Abriss wäre das Denkmalamt nicht einverstanden. Investor Ferdinand Piëch hat dies gewusst, als er den Gebäudekomplex von der Württembergischen Lebensversicherung gekauft hat. Mit Ausnahme der gläsernen Ladenpassage, einem Prestigeobjekt der 1970er Jahre, wird alles dem Erdboden gleichgemacht.

Am 6. Mai sollen die Bauarbeiten für den neuen Gebäudekomplex beginnen

2013 hat das Regierungspräsidium die 1978 eröffnete Calwer Passage in die Liste der Stuttgarter Kulturdenkmäler aufgenommen. Verschalt ist der ehemalige Stolz der Stadt nun. Einen Schutzmantel aus Holz hat man um den Glastunnel gebaut, damit nichts von der Historie zerstört wird. Daneben knallt’s, hämmert’s und dröhnt’s. Wenn am 6. Mai die Bauarbeiter damit beginnen, einen neuen Gebäudekomplex zu errichten, sollen sie Denkmalschutz und Zukunftsbau zusammenzuführen. Für die Fassaden des neuen Gebäudezuges hat Stuttgart 21-Architekt Christoph Ingenhoven aus Düsseldorf sprießendes Grün geplant. Geschäfte und Wohnungen werden in einem Quartier entstehen, in dem eine filigrane Ladenpassage mit gewölbtem Glasdach mit der Eröffnung im August 1978 einen Hauch von Luxus nach Stuttgart bringen sollte – nach Vorbildern in Mailand, Paris und London.

Viele Jahre war die Calwer Passage eine feine Adresse und sorgte für gute Umsätze. Im Laufe der Zeit fühlten sich die Geschäftsleute der einst schicken Flaniermeile, die mit Marmorboden ausgestattet war, von der City abgehängt. Wechsel, Leerstände und nachlassende Kundenströme wirkten sich negativ auf die Attraktivität des Gebäudeensembles aus. Nachdem Ferdinand Piëch es gekauft hat, zogen im November 2014 alternative Läden nach dem Pop-up-Prinzip ein. Das Ende war Programm. Dreieinhalb Jahre sollten es werden, bis das beliebte, zunächst nur für das Weihnachtsgeschäft geplante Fluxus aufhören musste.

Zu unserer Serie sind drei Bücher erschienen

Über den Abriss wird im Facebook-Forum unseres Stuttgart-Album hitzig diskutiert. Kommentator Jan Köpke findet es „erstaunlich“, wie kurz die Lebensdauer moderner Gebäuden sei. Dass schon nach 40 Jahren der Abriss erfolge, beweise „die architektonische Bedeutungslosigkeit“, klagt er.

„Wenn Gebäude der 1950er bis 1980er Jahre nicht unter Denkmalschutz gestellt werden, ist in wenigen Jahren nichts Schützenswertes mehr übrig“, schreibt ein anderer Facebook-User. „Der Neubau mit Grünfassaden könnte sehr schön werden“, ist außerdem zu lesen. Für OB Manfred Rommel war die Calwer Passage bei der Eröffnung 1978 ein „Glanzpunkt für Stuttgart“.

Glanzpunkte, so weiß man längst, verlieren in dieser Stadt ihren Glanz oft früh.

Diskutieren Sie mit unter www.facebook.com/Album.Stuttgart. Zu unserer Serie sind drei Bücher erschienen, zuletzt „Das Beste aus dem Stuttgart-Album“ im Sutton-Verlag.