Am 1. Oktober 1920 zieht das Regiment in die Dragonerkaserne auf die Anhöhe von Bad Cannstatt ein Foto: Sammlung Wibke Wieczorek

Wo einst die Römer die Handelswege kontrollierten, ließ König Wilhelm II. eine Kaserne für seine Dragoner bauen. Wir blicken zurück auf die Geschichte des Römerkastells, in dem im Corona-Sommer Kultur im Freien gefeiert wird.

Stuttgart - Was in 100 Jahren in den Stuttgarter Geschichtsbüchern stehen wird, wissen wir nicht. Bestimmt aber wird die Pandemie von 2020 eine Rolle spielen. Vielleicht wird sogar der Kastellsommer erwähnt - ein Open-Air-Festival im Römerkastell, wie man es zuvor nicht gekannt hat.  Maximal 99 Gäste dürfen dabei sein, die weit auseinander sitzen. Bei der Premiere in der vergangenen Woche gab es viel Lob für das autofreie Areal mit Live-Bühne und LED-Wand. So schön kann Kultur im Corona-Sommer sein, wenn das Wetter mitspielt. Das Römerkastell hat eine bewegte Geschichte hinter sich - und  erlebt nun wegen der Infektionsgefahren ein Novum.

1910 sind die Soldaten von König Wilhelm II. in die dicht aneinander gebauten Kastellhäuser oberhalb vom Neckar und von Bad Cannstatt gezogen – in die Dragonerkaserne, wie sie damals hieß. Als Dragoner bezeichnete man die berittene Infanterie, die ihre Pferde in erster Linie zum Transport, nicht aber für den Kampf verwendete.  Die Spurensuche an diesem historischen Ort ist spannend.

Im Jahr 90 nach Christus kamen die Römer

Die Römer kamen im Jahr 90 nach Christus mit Pferden an diesen hoch gelegenen Ort, um hier einer ihrer stärksten Militäreinheiten zwischen Mainz und Augsburg einzurichten. Von Cannstatt aus kontrollierten 500 Kavalleristen im Auftrag aus Rom  den Übergang des Neckars. Es galt, die Fernstraße des Handels zu überwachen. Archäologen fanden über 1800 Jahre später Mauern des römischen Stützpunktes.

Wo römische Reiter im ersten Jahrhundert waren, zogen in der württembergischen Monarchie also die königlichen Reiter ein. In der Zeit des Nationalsozialismus waren in der Kaserne Kavallerie-, Radfahr-, und andere Ersatzabteilungen untergebracht. Die Kavallerieregimenter waren während des  Zweiten Weltkrieges auf allen Kriegsschauplätzen (bis auf Nordafrika) eingesetzt.  

Erinnerungen an die Amerikaner in Bad Cannstatt

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die US-Armee bis 1993 die Kaserne genutzt. 2001 kauften sich Investoren ein, um ein Medienzentrum zu errichten.  An die Zeit der Amerikaner erinnern sich viele Cannstatter. Im Internet-Forum des Geschichtsprojekts Stuttgart-Album schreibt eine Kommentatorin: „Ich betrieb dort die deutsche Kantine im Untergeschoss von Gebäude 4303 (?) von 1973 bis 1992. Im Dachgeschoß war das Militärgericht. In der Mittagspause kamen alle zum Essen, auch Angeklagte. Nur einer hatte mal Fußfesseln an. Er war angeklagt wegen Mordes. In der ganzen Zeit wurde zweimal die Todesstrafe verhängt. Das Problem mit der deutschen Rechtssprechung wurde so gelöst, indem die Amerikaner versprechen mussten, die ausgesprochenen Todesurteile nicht zu vollstrecken. Ob sie sich daran gehalten haben, weiß ich nicht.“

Eine andere Facebook-Userin erinnert sich: „Ich und viele andere gingen jeden Tag an der Kaserne entlang auf dem Weg zur Altenburgschule. Damals waren die Amerikaner dort stationiert. Sie haben uns oft auf unsere Bitte Chewing Gum aus den Fenstern zugeworfen.“

„Das Unplugged-Konzert der Fantas war sensationell“

Die militärische Nutzung des Römerkastells ist längst Vergangenheit. Heute sind neben Design- und Werbeagenturen hier vor allem Eventdienstleister und Produktionsbüros angesiedelt. In den Studios der Bavaria Fiction wird die ZDF-Serie „Soko Stuttgart“ produziert. Auch die Macromedia, Hochschule für Medien und Kommunikation, Regio TV sowie die Magic Lounge von Thorsten Strotmann sind an einem Ort mit Geschichte daheim.

Unvergessen bei vielen ist der Unplugged-Auftritt, den die Fantastischen Vier am 21. September 2003 im Römerkastell gegeben haben. Ihr Manager Andreas „Bär“ Läsker lebt hier. „Das war ein sensationelles Konzert“, schreibt ein Kommentator im Internet-Forum unseres Stuttgart-Albums. Das Doppel-Album „Live in Stuttgart“ entstand damals. Auf der Setliste stehen die Fanta-Hits wie „Sie ist weg“, „Picknicker“ und „Tag am Meer“, aber auch eine Cover-Version vom „Griechischen Wein“ von Udo Jürgens. Heute wird hier im Restaurant Pilum, das im l nach dem Wurfspieß der Legionäre benannt ist, auch gern mal ein römischer Wein getrunken. Italienische Speisen und Getränke stehen auf der Karte. In Stuttgart gibt es etliche Plätze, an denen man in die Vergangenheit eintauchen kann. Das Römerkastell gehört dazu und führt besonders weit zurück.

Zu unserer Serie Stuttgart-Album sind drei Bücher erschienen, zuletzt „Das Beste aus dem Stuttgart-Album“ im Sutton-Verlag. Wer mehr zur Stadtgeschichte erfahren will, kann kostenlos den Newsletter „StZ Damals“ unter http://stzlinx.de/stzdamals anmelden.