Diese Neujahreskarte vom Stuttgarter Schlossplatz ist 1902 verschickt worden. Foto: Sammlung Wibke Wieczorek

Historische Neujahreskarten zeigen, worauf die Menschen in Stuttgart stolz waren. Es sind Karten, die Geschichten erzählen. Wir blicken zurück auf Wünsche vergangener Tage – für eine einst wie heute ungewisse Zukunft.

Stuttgart - Prosit Neujahr! Auf dem Tisch steht eine dampfende Suppenschüssel, der Rotwein ist zum Anstoßen eingeschenkt. In der Wohnstube, die mit dem Schlossplatz auf der Neujahreskarte abgebildet ist, die 1902 verschickt wurde, sieht man keine Menschen. Und wer Menschen vor dem Neuen Schloss entdecken will, muss ganz genau hinschauen. Die Hügel sind noch weitgehend unbebaut.

Mit Motiven der Heimat hat man einst gern Wünsche fürs neue Jahr hinausgeschickt. Oftmals sind vier Zahlen groß zu lesen. Auf einer weiteren Karte sind die Rundungen der Jahreszahl 1903 mit Fotos von Stuttgarter Sehenswürdigkeiten gut gefüllt. „Herzlichen Glückwunsch zum neuen Jahr sendet Karl Zing“, steht auf der Karte in akkurater Kurrent-Schrift. Damals durften Postkarten nur auf der Vorderseite beschrieben werden. Bis 1905 gehörte die Rückseite allein der Postadresse und der „Freimachung“, wie dort vermerkt worden ist.

Wie sich die Zeiten doch wiederholen!

Etliche Generationen vor E-Mails und Whatsapp war die Postkarte das Medium der Massenkommunikation. Wer die Fotos in den verzierten Zahlen der 1903er-Karte des Herrn Zing genau betrachtet, erkennt, worauf Stuttgart damals stolz war. Die Sehenswürdigkeiten also waren: Eugensbrunnen, Nachtwächterbrunnen, Johanneskirche (noch mit vollständiger Turmspitze), Schlossplatz sowie das im Jahr 1902 erbaute Interimstheater.

Wie sich die Zeiten doch wiederholen! Zur Sanierung des Opernhauses muss in unseren Tagen ebenfalls eine Interimslösung her. Den Littmann-Bau gab es damals noch nicht. Im Januar 1902 war das Hoftheater, das sich an jener Stelle befand, auf dem heute der goldene Hirsch über dem Kunstgebäude thront, abgebrannt. In nur neun Monaten ließ König Wilhelm II. auf dem Platz des heutigen Landtags ein Ersatztheater bauen.

Die Spanische Grippe hatte Stuttgart fest im Griff

Was die Zukunft bringt? Noch nie wusste man es. Das Jahr 2020, das wir nun verabschieden, hat uns viel abverlangt. Die zweite Welle der Corona-Pandemie sorgt für erschreckende Infektionszahlen. Die Menschen sehnen sich nach einem neuen Jahr, das dank der Impfungen endlich besser wird. Vor über 100 Jahren hatte die Spanische Grippe die Menschen, auch in Stuttgart, fest im Griff. Schulen wurden geschlossen und „Grippe-Ferien“ eingeführt. Über 40 Millionen Menschen sind an dieser besonders schlimmen Influenza gestorben.

Der US-Bundesstaat Kansas berichtete Anfang 1918 von ungewöhnlich schweren Grippesymptomen unter jungen Männern. Die Behörden ignorierten die Hinweise. Männer aus dem County wurden zur US-Armee eingezogen. Das Virus kam mit dem Kriegsschiff nach Europa, verbreitete sich während der Frühjahrsoffensive an der Westfront und erreichte im Sommer den Südwesten Deutschlands. Aus einer Mitteilung des Württembergischen Statistischen Landesamts von 1920 geht hervor, dass in Württemberg 7300 Menschen an den Folgen der Spanischen Grippe starben.

Schlittschuhläufer auf dem Neckar

Zurück zu den Wünschen fürs neue Jahr: Für 1905 gab es auf den Silvesterkarten Neuzugänge – in Form von zwei Türmen. Am 11. April 1904 war der vordere Teil des neuen Rathauses (aus heutiger Sicht ist es das alte) fertig. Und am 16. Juli 1904 feierte die Studentenschaft der Technischen Hochschule den Bismarckturm. Prompt kamen diese beiden Neubauten, der neue Stolz der Stadt, auf die Glückwunschkarte aus Stuttgart.

Auf einer weiteren Karte sind Schlittschuhläufer zu sehen, die sich auf dem zugefrorenen Neckar bei der König-Karls-Brücke zwischen Stuttgart und Cannstatt vergnügen. Die ging auf dem Postweg mit Glückwünschen zum neuen Jahr weit über die Stadt hinaus. „Gruß aus Stuttgart“ steht auf der Karte, die also nach 1905 verschickt worden ist. Denn erst 1905 erfolgte der Zusammenschluss von Cannstatt und Stuttgart, sonst hätte es „Gruß aus Cannstatt“ heißen müssen.

Das neue Jahr hat eine Chance verdient

Gute Partien von früher. Wenn auf einer der historischen Karten erklärt wird, was zu sehen ist, wird meist die „Partie“ erwähnt – die „Partie am Schlossplatz“ etwa. Zeichnungen waren damals öfter zu sehen als Fotografien.

Ein Jahr geht – und wir wünschen uns gegenseitig Glück. Denn das neue Jahr hat eine Chance verdient. Als Karl Zing zum Ende von 1902 seine Glückwünsche verschickte, ahnte er nicht, dass 1903 der Traum vom Fliegen wahr geworden ist. Den Brüdern Wright gelang im Dezember 1903 der erste motorgetriebene Flug.

Jetzt geht das Jahr 2020. Was wird 2021 wahr? Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, was sich die Menschen fürs neue Jahr besonders dringend wünschen.

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