Die autofreie Königstraße gehört im November 1973 den Pferdekutschen. Foto: Sigrid Vollmer

Fahrverbote spalten die Stadt. Vor über 40 Jahren mussten schon mal Autos stehen bleiben – mit Diesel hatte dies nichts zu tun. Das Stuttgart-Album erinnert an autofreien Sonntage während der Ölkrise im Jahr 1973.

Stuttgart - Im November 1973 ziehen vier Pferde zwei Kutschen über die leere Königstraße, die noch keine Fußgängerzone ist. Sigrid Vollmer hat dem Stuttgart-Album Fotos aus dieser denkwürdigen Zeit geschickt. Die Scheichs haben dem Westen den Ölhahn zugedreht und den Deutschen an vier (fast) autofreien Sonntagen zu ungewohnten Freizeiterlebnissen verholfen. Die Öl-Förderländer setzen ihre Ressource im israelitisch-arabischen Konflikt erstmals als politisches Druckmittel ein. Die Ölkrise versetzt der florierenden deutschen Wirtschaft einen nicht unerheblichen Dämpfer.

Hitzig wird im Facebook-Forum unseres Geschichtsprojekts diskutiert, ob autofreie Tage – nicht nur für alte Diesel-Fahrzeuge – heute helfen würden, die Schadstoffbelastung zu verringern. Etliche glauben nicht daran. Andere aber plädieren dafür, öfter im Kessel aufs Auto zu verzichten. Damals habe dies funktioniert, und man habe darüber hinaus Spaß gehabt, auf leeren Autobahnen spazieren zu gehen, ist zu lesen.

Damals gab es keine Proteste am Neckartor

„1973 sind diejenigen aufgewacht, die dachten, es geht mit immer größer werdenden Auto immer so weiter“, schreibt Joachim Wittek, „jeder wollte und musste einen Mercedes haben. auch wenn er neun Monate Lieferzeit hatte.“ Nina Tietze schwärmt noch immer: „Familienspaziergang mal nicht im Wald, sondern auf der A8 – ich fand’s toll.“

Was ein Leben ohne Autos bedeutet, ist an diesen Sonntagen des Jahres 1973 klar geworden. Es gab keine Proteste mit gelben Westen am Neckartor, keine Transparente, keine Shitstorms bei Facebook.

Stattdessen sah man Pferde auf den Straßen der City sowie Fahrräder auf den Autobahnen. Auf den Fotos von Sigrid Vollmer ist ein Mann in dicker Kleidung und mit Wintermütze auf einer Kutsche zu sehen. Mit seinen beiden Pferden genießt er die Königstraße, die sonst mit Autos und Straßenbahnen überfüllt war. Doch jetzt hatten Fußgänger und Pferde Vorfahrt.

Wer trotz des Verbots Auto fuhr, zahlte 500 Mark Strafe

Es war der Totensonntag im November. Kanzler Willy Brandt hatte den autovernarrten Deutschen erklärt, sie müssten nun sonntags auf ein motorbetriebenes Fahrzeug verzichten. Ausgenommen waren Busfahrer, Rettungskräfte, Ärzte, Diplomaten, Milchlaster-Fahrer und ähnlich wichtige Personen. Wer sich an den vier autofreien Sonntagen trotzdem ans Steuer setzt, musste eine Strafe von 500 D-Mark bezahlen. An den Werktagen sollte überdies mit einem Tempolimit Benzin gespart werden.

„Für uns als Kinder war es sehr beeindruckend, so einfach auf den Straßen zu spazieren zu können,“ schreibt Christoph Hain über die unvergessenen Sonntag im November 1973. . „Damit hätte man umdenken sollen“, findet Andreas Mader, ein weiterer Kommentator unseres Interentforums und bedauert: „Der Mensch verfällt gern wieder in den alten Trott.“

Peter Kodweiß erinnert sich in seinem Beitrag auf unserer Facebook-Seite „Damals im November 1973 schlossen die Lebensmittelläden am Samstag um 13 Uhr. Eigentlich hatte da jeder Wochenende und sich vorher drauf vorbereitet. Das Fahrverbot galt damals für alle, nicht nur für Diesel-Fahrer. Es war üblich, dass sich eine Regierung vorher gemeinsam Gedanken darüber machte, was akzeptabel für die Menschen wäre – und nicht, für welche Industriesparte man die Werbetrommel rühren müsste.“

Im Januar 1974 sprach sich Willy Brandt gegen weitere Fahrverbote aus

Gisela Salzer-Bothe schreibt: „Wir bekamen vom damaligen Verkehrsdirektor Peer-Uli Ferber eine Sondergenehmigung, in die Innenstadt mit dem Auto zu fahren. Wir mussten das Schlagzeug zu einem Jazzer Frühschoppen (für das Slick Salzer Swing Quartett) transportieren. War schon eine eigenartige Stimmung, nirgends ein Auto. Dafür spazierten dann mittags viele Menschen auf den Straßen.“

Am 25. Dezember 1973 meldet Kuwait das Ende der Ölproduktionskürzungen. Damit ist auch die Krise beendet. Am 8. Januar 1974 spricht sich Willy Brandt gegen weitere Fahrverbote aus – damals weiß man noch nichts von Feinstaub und den Schadstoff-Ausstoß von Diesel-Autos.

Diskutieren Sie im Netz mit unter: facebook.com/Album.Stuttgart. Zu unserer Serie sind drei Bücher erschienen, zuletzt „ Das Beste aus dem Stuttgart-Album“ im Sutton-Verlag.