Verhandlung vor dem Landgericht Stuttgart: Der Angeklagte soll seinen Mitbewohner mit einer zerbrochenen Flasche attackiert haben. Foto: Lichtgut/Marijan Murat

Weil er mit einem abgebrochenen Flaschenhals auf einen Mann eingestochen haben soll, steht ein 40-Jähriger vor Gericht. Das Opfer ist verschwunden.

Stuttgart - Das Opfer wird mit dem Satz zitiert: „Ich hatte Todesangst.“ Doch der 20-Jährige, der von einem Mitbewohner mit einem abgebrochenen Flaschenhals schwer verletzt worden sein soll, befindet sich nicht im Gerichtssaal. Er ist unauffindbar. Die 9. Strafkammer des Landgerichts muss den Schwurgerichtsprozess, bei dem drei Dolmetscherinnen für Russisch, Ungarisch und Chinesisch eingesetzt werden, ohne den 20 Jahre alten Geschädigten über die Bühne bringen.

Auf der Anklagebank sitzt ein 40 Jahre alter Mann, der in der Ukraine geboren ist und der sowohl die ukrainische wie auch die ungarische Staatsangehörigkeit besitzt. Zuletzt hatte der Mann in einer Wohngemeinschaft in Stuttgart-Vaihingen gelebt. Dort soll es in der Nacht auf den 8. Juli vorigen Jahres zu der blutigen Auseinandersetzung gekommen sein.

Der Angeklagte schweigt vorerst

Der Angeklagte, der erst wenige Tage vor der Tat in der Unterkunft Quartier bezogen hatte, will am ersten Prozesstag noch nichts sagen, weil sein etatmäßiger Verteidiger aus Termingründen erst am nächsten Verhandlungstag anwesend sein kann. Der Anklagesatz der Staatsanwältin ist denkbar knapp. Es sei in der Wohngemeinschaft am Vaihinger Markt zu einem Streit gekommen, in dessen Folge der Angeklagte den Geschädigten mit einer Bierflasche angegriffen und an Hals, Stirn, Augenbraue und an einer Hand verletzt habe.

Das Opfer, ein 20-jähriger Ungar, ist verschwunden. Weder das Polizeipräsidium Stuttgart noch das Bundeskriminalamt konnten den Mann ausfindig machen – auch nicht in seiner Heimat. Mit Zustimmung aller Prozessbeteiligter wird seine polizeiliche Aussage verlesen.

Er habe am Nachmittag des 7. Juli 2019 mit seinem Cousin und einem Freund das Haus verlassen. Als er zurückgekommen sei, hätten 55 Euro aus seiner Schublade gefehlt. Er habe sofort den neuen Mitbewohner, sprich den Angeklagten, in Verdacht gehabt, das Geld gestohlen zu haben. Der 40-Jährige sei ein komischer Typ, er trage rechtsradikale Symbole auf seinem Körper und auf seiner Kleidung. Seit er in der Wohngemeinschaft lebe, seien bereits mehrere Sachen weggekommen. Er habe ihn auf das Geld angesprochen, es habe Streit gegeben, der sich aber gelegt habe.

Blutüberströmt auf die Straße geflüchtet

„Am späten Abend kam er dann alkoholisiert nach Hause und hat mir unvermittelt eine Bierflasche auf den Kopf geschlagen“, so der Ungar bei seiner Aussage. Die Flasche sei zerbrochen, der Angeklagte habe sich auf ihn gesetzt und habe mit dem abgebrochenen Flaschenhals auf seinen Hals eingestochen. Dabei habe der 40-Jährige ihn als „stinkenden Zigeuner“ beschimpft und gesagt, er werde ihn abstechen.

Es sei ihm gelungen, blutüberströmt auf die Straße zu laufen, so der 20-Jährige. „Wir halten ihn für einen Irren“, hat der Ungar über den Angeklagten, der in einem chinesischen Lokal in der Küche arbeitet, gesagt. Der Prozess wird am 9. Januar fortgesetzt.