Die Beschuldigte hat gestanden, ihren Säugling umgebracht zu haben. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Eine 29-jährige Frau hat ihr Baby getötet. Stimmen hätten ihr dies befohlen, sagt sie vor dem Landgericht Stuttgart.

Stuttgart - Es ist eine verstörende und tieftraurige Geschichte, mit der es die Richterinnen und Richter der 9. Schwurgerichtskammer des Landgerichts Stuttgart seit Dienstag zu tun haben. Eine 29 Jahre alte Frau steht formaljuristisch wegen Totschlags an ihrer zwei Monate alten Tochter vor Gericht. Tatsächlich geht die Staatsanwältin aber davon aus, dass die Beschuldigte psychisch schwer krank und deshalb für ihr Tun nicht verantwortlich ist.

Man wähnt sich in einem albtraumhaften Film, wenn man die Schilderung der 29-Jährigen hört. Die Stimme eines Dschinns, also eines Dämonen oder Teufels, habe ihr in der Nacht auf den 27. Mai dieses Jahres wieder und wieder befohlen, sie solle ihre Tochter töten. Damals war die Frau allein in der ehelichen Wohnung im Stuttgart-Ost-Ortsteil Frauenkopf. Ihr Mann war mit Vereinskollegen unterwegs. „Es war alles okay mit ihr, sonst wäre ich nicht aus dem Haus gegangen“, sagt der Mann im Zeugenstand.

„Explosion im Kopf“

Nichts war okay. Die Befehle seien immer drängender geworden, sagt die Beschuldigte. Um dem etwas entgegenzusetzen, habe die in Somalia geborene und als Säugling nach Deutschland gekommene Frau Koransuren aus dem Internet in voller Lautstärke laufen lassen. Drei Liter Wasser habe sie getrunken, es half nicht. Sie spricht von einer Explosion in ihrem Kopf, es sei wie ein Rausch gewesen. „Mein Körper ist in jener Nacht übernommen worden“, sagt sie.

Schon seit 2004 sei die Beschuldigte psychisch erkrankt, sagt die Staatsanwältin. Die 29-Jährige hatte in Untertürkheim mit ihren Eltern und Geschwistern gelebt, hatte es geschafft, von der Hauptschule aufs Gymnasium zu wechseln und das Abitur zu machen. Ihr Chemiestudium brach sie ab, ihre Ausbildung zur Wirtschaftskorrespondentin absolvierte die Frau mit französischem Pass dann trotz ihrer Krankheitssymptome. Immer wieder sei es ihr schlecht gegangen, sagt sie. Sie sei sich vorgekommen, als habe sie „Müll im Kopf“. Stimmen tauchten in ihrem Kopf auf. Das habe sie jedoch für sich behalten, um nicht als verrückt abgestempelt zu werden.

Nach ihrer Heirat Ende Mai 2018 mit einem Somalier begab sich die Frau in die Hände des Onkels ihres Mannes. Der Onkel ist ein Hodscha, ein islamischer Religionsgelehrter. Der Hodscha identifizierte die Stimme im Kopf der Frau als die eines Dschinns. Sie solle Koransuren lesen und viel Wasser trinken. Das habe ihr Linderung verschafft, aber immer nur kurzzeitig, so die 29-Jährige, aber: „Noch kurz vor der Hochzeit sind mehrere Teufel aus mir gefahren“, sagt sie.

Hodscha unternimmt Exorzismus

Die Frau zog einen zweiten Hodscha zurate. Der gab sich offenbar nicht mit Koransuren und Wasser zufrieden, sondern nahm einen Exorzismus vor, in dem er der Frau Nadeln in die Fußsohlen stach.

Nach der Geburt ihrer Tochter im März dieses Jahres – ein Wunschkind, wie sie und ihr Mann sagen – seien die Stimmen in ihrem Kopf immer dominanter geworden. Die Beschuldigte und ihr Mann sagen, man habe keinen Arzt deswegen konsultiert. Es gibt allerdings eine Notiz, in der der Hausarzt eine psychiatrische Behandlung der Frau empfiehlt.

Bei einer der Koransuren habe ihr Baby in jener unseligen Nacht zu weinen begonnen, sagt die Frau. Das sei für sie der Beweis gewesen, dass ihre Tochter der Teufel sei. „Ich habe ein Messer genommen und mehrmals auf die Kleine eingestochen“, so die 29-Jährige, die von Verteidigerin Martina Kohler vertreten wird. Erst in der Psychiatrie habe sie verstanden, was sie getan hatte. „Als ich nach Hause kam, sagte meine Frau, der Teufel habe unsere Tochter getötet“, berichtet der Ehemann.

Der Prozess, für den sechs Tage terminiert sind, wird am 30. Oktober fortgesetzt.