Knapp zehn Stunden verbringt Peter Müller in der Woche bei der Mahnwache. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Seit zwölf Jahren steht Peter Müller regelmäßig in der K 21 Mahnwache. Das hellgrüne Holzhaus gleicht einem Symbol für den Aktivismus gegen Stuttgart 21. Was motiviert ihn, gegen ein Großbauprojekt zu demonstrieren, das bereits in vollem Gange ist?

Während die Großbaustelle Stuttgart 21 einst große Proteste auslöste, schütteln heute viele Stuttgarter nur noch resigniert den Kopf. Anders Peter Müller. Der Maschinenbautechniker im Ruhestand ist einer der Organisatoren der Mahnwache. Eine grellgrüne Holzhütte vor dem Bonatzbau, die von vielen gar nicht mehr bewusst wahrgenommen wird.

„Wir erleben jeden Tag, dass wir recht haben“

Der ehemalige Maschinenbautechniker ist an einer Bahnstrecke im Erzgebirge aufgewachsen: ,,Daher kommt vermutlich das Interesse‘‘, sagt der 66-Jährige. Zehn Stunden verbringt er im Schnitt wöchentlich an der Mahnwache. Die Organisation, Recherche für den Informationsschaukasten, den er bestückt und die regelmäßigen Besuche bei den Baustellen, wie zum Beispiel an der Filstalbrücke, sind dabei noch nicht eingerechnet. Woher nimmt er die Motivation? ,,Die ist einfach da“, sagt der Rentner schmunzelnd. Morgen nicht mehr zu kommen, daran hat er noch nie gedacht. „Wir erleben jeden Tag, dass wir recht haben.“ Die steigenden Kosten oder die verzögerte Fertigstellung des Bahnhofs hätten die Gegner beispielsweise schon früh vorhergesagt. Das Gespräch mit den Demonstranten suchen mittlerweile hauptsächlich Touristen, Neuzugezogene und Menschen, die aus beruflichen Gründen in der Landeshauptstadt sind. Ganz nach dem Motto „Jetzt wird der Bahnhof ja eh gebaut“ zeigen sich viele Stuttgarter hingegen eher verwundert über die Standhaftigkeit der Aktivisten. Seit zwölf Jahren wird die Mahnwache betrieben, vor der Aufrüstung zur Holzhütte im Juli 2021 informierten die S 21-Gegner in einem Zelt, das rund um die Uhr besetzt war. Heute sind es feste Öffnungszeiten, während denen zwei der rund 120 Ehrenamtlichen vor Ort sind. Sie fordern den Erhalt des Kopfbahnhofs.

Bahn-Sprecher: Sicherer Betrieb ist gewährleistet

Ihre Kritik am geplanten Tiefbahnhof: zu hoch die Kosten, das Sicherheitsrisiko und die Umweltbelastung, zu gering die Leistungsfähigkeit. Sie berufen sich damit auf die Recherchen eines Arbeitskreises. Unter dem Namen „Ingenieure 22“ haben sich Ingenieure, Eisenbahner, Techniker und verschiedene Naturwissenschaftler zusammengeschlossen, um Defizite des Bauvorhabens der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Aufgrund der Neigung der Bahnsteige, dem Entrauchungskonzept und der langen Fluchtwege wird der Tiefbahnhof laut dem Arbeitskreis im Brandfall zur Todesfalle.

Ein Sprecher der Deutschen Bahn weist auf Anfrage unserer Zeitung darauf hin, dass „die Einhaltung aller sicherheitsrelevanten und brandschutztechnischen Vorgaben sichergestellt ist“. Das Eisenbahn-Bundesamt habe sich mit der Längsneigung befasst und die Gewährleistung eines sicheren Bahnbetriebs bestätigt. Die Planung fuße zudem auf gesetzlichen europäischen und nationalen Grundlagen sowie Vorgaben der Behörden. Die Deutsche Bahn verwahre sich seit Jahren mit Nachdruck gegen die von Stuttgart-21-Gegnerinnen und -gegnern betriebene Panikmache, sagt der Sprecher.

Ein weiterer Kritikpunkt der „Ingenieure 22“ ist die beworbene Leistungserhöhung auf mehr Züge in der Stunde, die laut dem Arbeitskreis nicht erzielt wird. Der neue Bahnhof liefere demnach keinen verkehrstechnischen Fortschritt, schlucke aber enorme Mengen an Steuergeld, mittlerweile über neun Milliarden Euro, knapp viermal so viel wie bei der Projektvorstellung 1995 angedacht.

Alternativvorschlag wurde nicht diskutiert

Die Arbeitsgruppe „Umstieg“ des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 schlägt dagegen Alternativen vor wie beispielsweise die unterirdische Güterversorgung und damit eine Umnutzung der bereits gebohrten Tunnel. Außerdem soll der Kopfbahnhof bleiben und modernisiert werden.

Diskutiert wurde dieser Vorschlag nicht. Peter Müller fühlt sich von der Politik im Stich gelassen. „Man müsste sich einfach mal vernünftig zusammensetzen!“ Frühere politische Gegner des Bauprojektes wie der Ministerpräsident Winfried Kretschmann sehen das Bauprojekt durch die Volksabstimmung 2011 legitimiert. Damals stimmten 58,9 Prozent der 7,6 Millionen Stimmberechtigten gegen den Ausstieg des Landes aus der Projektfinanzierung und damit für den Weiterbau des Tiefbahnhofs. Eine Umfrage, die laut Peter Müller heute anders ausgehen würde. Er sieht in dem Ergebnis der Umfrage vor allem die unzureichende Informierung der Bürgerinnen und Bürger. Warum anstatt Stuttgart und der Region ein ganzes Bundesland entschied, versteht er nicht.

Peter Müllers Motivation, die Menschen zu informieren, lässt nicht nach. Auch bei den Montagsdemonstrationen, mittlerweile die 644., nimmt er noch immer teil. Sollte der Bahnhof wie geplant zu Ende gebaut werden, steht für Peter Müller eines fest: „Ich fahr sicher nicht in den neuen Tiefbahnhof.“