Der Tunnelbau der Bahn unter Stuttgart kommt trotz mancher Schwierigkeiten voran. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Vor vier Jahren hat die Deutsche Bahn eine umstrittene Entschädigungsregelung für die von den Stuttgart-21-Tunnelbauten betroffenen Eigentümer präsentiert. Nun soll sie vor Gericht überprüft werden.

Stuttgart - In der Landeshauptstadt ist die Deutsche Bahn für das Projekt Stuttgart 21 mit einem Drittel der Tunnelbauarbeiten durch den Berg, rund 21 von 59 Kilometern seien gebohrt. Das sagte der stellvertretende Bahn-Chef Volker Kefer nach der jüngsten Sitzung des S-21-Lenkungskreises. Ob die Bahn mit ihrer Entschädigungsregelung, die sie Grundstückseigentümern für die Untertunnelung zahlt, auch über den Berg ist, soll nun vor Gericht geklärt werden.

Der Haus- und Grundbesitzerverein Stuttgart und die Bahn selbst haben ein großes Interesse an einer endgültigen Entscheidung über das von der Bahn bei der DIA Consulting AG in Freiburg in Auftrag gegebene Gutachten zur Wertermittlung. Das Unternehmen präsentierte seine Berechnungsformeln mit Tabellen für die Entschädigungshöhe im Oktober 2012. Geld erhält, wer eine Grundbucheintragung für einen Tunnel hinnehmen muss. Das sind je rund 3000 Eigentümer im Projekt Stuttgart 21 und für den Streckenbau von Wendlingen nach Ulm. Wie viel Geld fließt, bemisst sich nach der Tunneltiefe und der Fläche, die die Röhren und ein Schutzstreifen entlang der Tunnelwände unter dem Grundstück beanspruchen.

Nur der Tunnelstreifen wird betrachtet

Knackpunkt des Gutachtens, das so erstmals in Deutschland angewandt wird, ist aus der Sicht von Eigentümern und des Vereins Haus und Grund der von der Bahn herangezogene großräumig geltende Bodenrichtwert. Der eigentliche Verkehrswert des Grundstücks wird nicht erhoben, und der Wert der Bebauung wird nicht berücksichtigt. Haus-und-Grund-Geschäftsführer Ulrich Wecker fordert, das gesamte Grundstück und nicht nur einen Tunnelstreifen zu betrachten. Das unterirdische Wegerecht, so die Argumentation des 20 000 Mitglieder zählenden Vereins, führte zu einer „Grundbuchverschmutzung“ und damit zu einer Wertminderung der gesamten Fläche, die bei einem Verkauf erheblich ins Gewicht falle.

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Der Verein ist zwar mit seinem Grundstück in der Gerokstraße selbst an einer Ecke vom Tunnelbau betroffen, das Bürohaus gilt aber nicht als typischer Fall. Den hat die Bahn nun gefunden. Man habe dem Verein zwei Adressen genannt, die beispielhaft für eine große Zahl Betroffener stünden, sagt Peter Sturm, der Geschäftsführer der DB-Projektgesellschaft Stuttgart–Ulm. Wer der Entschädigung nach dem DIA-Gutachten zustimmt, erhält hundert Prozent der Summe ausgezahlt, selbst wenn er sich im Gestattungsvertrag für den Tunnelbau eine fünfjährige Bedenkzeit zum Widerspruch offenhält. Diese Regelung hatte die Bahn im Januar 2015 präsentiert, auch um langwierige Verfahren der zwangsweisen Inanspruchnahme, die von den Regierungspräsidien Stuttgart und Tübingen entschieden werden, zu vermeiden. Zuvor gab es 80 Prozent.

Ein typischer Fall ist gefunden

Ende November will Wecker die entscheidenden Gespräche mit Hauseigentümern im Stuttgarter Norden führen, deren Objekte und Flächen als idealtypisch für ein Verfahren vor der Baulandkammer des Landgerichts Stuttgart angesehen werden. Es gehe um ein klassisches Mehrfamilienhaus, das zum Teil untertunnelt werde, der Streitwert sei überschaubar, sagt der Geschäftsführer. Wichtig sei, dass die Eigentümer, die Vereinsmitglieder sind, das Verfahren im Zweifelsfall bis zum Bundesgerichtshof durchziehen, denn die Bahn setzt auf eine endgültige Klärung. Der Verein sagt den Klägern seine Hilfe zu und will sie mit eigenen Gutachten stützen. „Es gibt sehr viele Fälle mit geringem Abstand zwischen Häusern und Tunneldecke, zum Beispiel in Untertürkheim“, so Wecker. Er sieht die Eigentümer übervorteilt.

Im März 2014 wurde mit dem Bürohaus der Landeswasserversorgung in der Schützenstraße 4 ein krasser Fall einer Unterbewertung öffentlich. Auf die Fläche mit dem siebenstöckigen Bürobau, das äußerst knapp untertunnelt wurde, passte die DIA-Rechenmethode nicht, ein Gutachten der Stadt und die Vorstellungen der Bahn lagen 47 000 Euro auseinander. Der Fall ist allerdings eher untypisch.

Stadt mit Bahn noch nicht einig

Auch die Landeshauptstadt selbst ist mit vielen Grundstücken vom Tunnelbau betroffen. Sie verhandelt seit fast vier Jahren mit der Bahn über die Modalitäten der Entschädigung. Das hemmt den Bau nicht. „Wir haben mit der Stadt einen Vorvertrag“, sagt Peter Sturm. Er nimmt an, dass der Stadt die endgültige Klärung schwerfallen könnte, weil sie „kein Präjudiz schaffen“ wolle.

Die Angelegenheit sei „rechtlich komplex“, sagt Stadtsprecher Sven Matis. Man müsse mit der Bahn Einigkeit „in verschiedenen Fragen erzielen, eine davon ist die finanzielle Entschädigung“, so Matis. In dieser Sache gehe „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“.