Muss nicht vor Gericht erscheinen, weil die Bahn inzwischen Unterlagen zu Kostenrisiken veröffentlicht hat: Bahn-Vizechef Volker Kefer. Foto: Lichtgut/Piechowski

Diskutieren Sie mit! Die Bahn hat mit der Veröffentlichung der so genannten Azer-Risikoliste aus dem Jahr 2011 verhindert, dass ihr Vize-Vorstandschef Voker Kefer vor dem Verwaltungsgericht erscheinen muss. Die Stuttgart-21-Gegner hätten ihn gerne in den Zeugenstand gerufen.

Stuttgart - Es wäre nur ein Katzensprung gewesen für Volker Kefer, den Vize-Chef der Deutschen Bahn AG. Doch der Kronprinz von Vorstandsboss Rüdiger Grube wird am 10. Dezember wohl keine Fahrkarte vom Bahntower am Potsdamer Platz zum Verwaltungsgericht in Moabit lösen. Er wird dort voraussichtlich nicht im Zeugenstand erscheinen müssen, genauso wenig wie der ehemalige Stuttgart-21-Planungschef Hany Azer und dessen Nachnachfolger Manfred Leger.

Alle drei können übernächsten Donnerstag ihrer gewohnten Arbeit nachgehen, müssen sich nicht erheben, wenn die Richter den Saal betreten. Und viel wichtiger für Kefer, Azer und Leger: Sie müssen sich nicht von den Fragen der Stuttgart-21-Gegner piesacken lassen.

Noch hat das Gericht laut Sprecher Stephan Groscurth zwar nicht entschieden, ob es Kefer, Azer und Leger um 10 Uhr nicht doch als Zeugen aufrufen will, aber Justitia muss mit ihren Mitteln haushalten. Und nachdem die Bahn-Projektgesellschaft in Stuttgart, wie von den Tiefbahnhof-Gegnern jahrelang gefordert, nun spät die sogenannten Azer-Risikopapiere in ein Unteruntermenü ihrer Homepage gestellt hat, ist die Sache eigentlich erledigt. Zumindest dieses Detail.

Der Klageantrag wäre erfüllt

Für den Klagevertreter und Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, den Nagolder Anwalt Eisenhart von Loeper, stellt sich die Frage nach dem Gerichtstermin angesichts des Einlenkens der Bahn nicht mehr. „Der Klageantrag wäre dann wohl erfüllt, der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, bleibt nur die Kostenentscheidung. Die Bahn wird zahlen müssen, weil sie die Dokumente zuvor verwehrt hat“, schlussfolgert er.

Rein äußerlich entspricht der Jurist dem Image des altersmilden Opas. Doch von Loeper hat Terrierqualitäten. „Der Erfolg des Prozesses war, dass diese Herren vorgeladen wurden“, sagt er. Also nicht die Veröffentlichung der Milliarden-Risiko-Liste, die Azer 2011 für Grube gefertigt hatte? Wohl kaum, denn die Gegner hatten sie längst und längst veröffentlicht. Die Bahn übrigens hatte sie lange nicht mehr. Sorry, beim Wechsel der Geschäftsführung sei eine Festplatte mit den Daten vernichtet worden, das sei die Bahn-Auskunft gewesen, sagt von Loeper.

121 Risiken wurden mit Kosten benannt

In seinem Konvolut hatte Azer 121 Risiken für das damals auf 4,5 Milliarden Euro taxierte und so weit finanzierte Projekt benannt. Ende Mai 2011 sagte er nach seinem abrupten Abgang als Projektchef im Interview mit dieser Zeitung: „Nach heutigem Sach- und Kenntnisstand kann ich als Gesamtprojektleiter sagen: Stuttgart 21 lässt sich für 4,5 Milliarden Euro realisieren.“

Grube hatte Azer als den besten Tunnelbauer gelobt, den die Bahn in ihren Reihen habe. Aber auch der beste Kostenrechner? 19 Monate später offenbarten sich gewisse Kalkulationsschwierigkeiten bei Deutschlands „bestgeplantem“ Projekt. Es brauchte urplötzlich zwei Milliarden obendrauf. Der Bahn-Aufsichtsrat bewilligte sie nach dreimonatiger Bedenkzeit. Die 4,5 Milliarden, räumte Kefer vor Wochen ein, seien Anfang 2018 aufgebraucht. Gebaut werden soll bis Ende 2021.

Die Bahn will eine Milliardensumme beim Land einklagen

Mit der Veröffentlichung des Azer-Papiers habe der Urheber es anerkannt, freut sich von Loeper. Es werde nun aber keine Aussagen der geladenen Herren „unter strenger Wahrheitspflicht“ geben, bedauert er. Für die Projektgegner ist mit der Azer-Liste ein Detail geklärt, die wesentliche Frage bleibt. Sie lautet, wann Kefer & Co. von der Kostenexplosion wussten und wie lange sie die Mitzahler Land, Stadt und Region unwissend ließen.

Der Aufsichtsrat hat Grube verpflichtet, vom Land Milliarden einzuklagen. Grün-Rot sperrt sich. Die Gegner glauben nicht, dass die Milliardenspritze ausreicht. Am 16. Dezember wollen sie in Berlin ein Gutachten zur weiteren Kostenentwicklung präsentieren. Das Ticket dahin hat von Loeper gelöst.