Die Zahl der Jobs, bei denen vergleichsweise schlecht verdient wird, hat in den vergangenen Jahren weiter zugenommen. Foto: dpa

Arbeitnehmervertreter kümmern sich oft nicht ausreichend um Geringverdiener und Minijobber. Das ist das Ergebnis einer selbstkritischen Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung.

Stuttgart - Sieben Wochentage Arbeit, 15-Stunden-Schichten, bis zu 300 Arbeitsstunden im Monat, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Kündigungsdrohungen bei Beschwerden – und das Ganze für maximal sechs Euro die Stunde.“ Dies klinge nach Arbeitsbedingungen des 19. Jahrhunderts, sei aber die Realität mitten in Deutschland, heißt es in einer Studie der gewerkschaftseigenen Otto-Brenner-Stiftung, die jetzt im Vorfeld des internationalen „Welttags der menschenwürdigen Arbeit“ am 7. Oktober erschienen ist. Demnach sind fast 40 Prozent aller abhängig Beschäftigten in einer atypischen Beschäftigungsform. Deren Zuwachs hat den Arbeitsmarkt massiv geprägt.

Oft beschrieben werden die Folgen, die eng mit Prekariat und Armut verknüpft sind. Der Arbeits- und Sozialwissenschaftler Berndt Keller von der Universität Konstanz hat nun aber die Einflussmöglichkeiten der Arbeitnehmervertreter untersucht – und kommt zu dem Resultat, „dass die Interessen der atypisch Beschäftigten bis heute nur unzureichend vertreten sind“.

7,5 Millionen Mini- und 1,3 Millionen Midijobs

Im Einzelnen gibt es der Studie zufolge derzeit 7,5 Millionen geringfügige Beschäftigungsverhältnisse (Minijobs) mit monatlichen Einkommen von derzeit bis 450 Euro. Die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten blieb in etwa konstant und liegt bei gut 4,8 Millionen, die Zahl der Minijobs als Nebentätigkeit stieg dagegen. Zudem gibt es 1,3 Millionen sogenannte Midijobs mit Monatseinkommen zwischen 451 und 850 Euro. Der Umfang befristeter Beschäftigungsverhältnisse hat auf mehr als drei Millionen zugenommen – bei neu abgeschlossenen Arbeitsverträgen ist mittlerweile fast jeder zweite zunächst befristet, was vor allem jüngere Beschäftigte beim Eintritt ins Erwerbsleben trifft.

Die Leiharbeit (Arbeitnehmerüberlassung) hat sich bei gut einer Million eingependelt. Solo-Selbstständigkeit (Selbstständige ohne weitere sozialversicherungspflichtige Mitarbeiter) haben Anfang des Jahrhunderts auf 2,5 Millionen zugenommen; zuletzt ging die Zahl leicht zurück.

Gewerkschaften vertreten eher selten die Interessen von „Outsidern“

Zwar versuchten die Arbeitnehmervertretungen – „im Gegensatz zu früheren Zeiten“ – die mit den atypischen Beschäftigungsverhältnissen verbundenen Prekaritätsrisiken zu begrenzen, so der Soziologe Keller. Doch sei ein günstiges „Fenster der Gelegenheit“ verpasst worden. Heutzutage sei es für die Gewerkschaften „rechtlich und faktisch schwierig, die Zunahme insgesamt aufzuhalten, geschweige denn einzelne Formen ganz zu verhindern“. Eine Interpretation lautet: „Gewerkschaften vertreten nach wie vor vorrangig die Interessen der ,Insider‘“. Die atypisch Beschäftigten gehörten überwiegend aber zu den „Outsidern“ und würden nicht gehört. Vielmehr werde Interessenpolitik häufig selektiv zugunsten bestimmter Gruppen (aktuell am ehesten der Leih- und Werkvertragsnehmer) und „unter Vernachlässigung anderer“ betrieben.

Die Folge: Atypisch Beschäftigte seien wegen ihrer unzureichenden Integration bei der (über-)betrieblichen Interessenvertretung benachteiligt. Auch Betriebsräte orientierten ihre Politik häufig an den Interessen der Stammbelegschaft und nicht an den Belangen der Randbelegschaft, rügt der Autor. Bei den hauptamtlichen Interessenvertretern sei eine Aufgeschlossenheit gegenüber den spezifischen Belangen der betroffenen Gruppen atypischer Beschäftigter „nicht in jedem Fall gegeben“. Dazu sei mehr Aufklärung der Betriebsräte in Broschüren und Schulungen sowie durch Kampagnen seitens der zuständigen Gewerkschaften nötig. Eine Koordination der Aktivitäten durch die Gewerkschaften finde kaum statt – zudem mangele es an deren Unterstützung.

Langfristige Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse

„In der defensiv ausgerichteten Strategie einer Konzentration auf das Kerngeschäft – nicht nur in gewerkschaftlichen Hochburgen – kann die Zukunft der Interessenvertretung nicht bestehen“, schreibt Keller IG Metall & Co. ins Stammbuch. In Anbetracht der schrumpfenden „Kerne“ sowie der langfristigen Zunahme atypischer Beschäftigungsformen müssten die spezifischen Belange der Betroffenen „aus dem Eigeninteresse der Gewerkschaften stärkere Beachtung finden“, mahnt er.