Mehr Wettbewerb bedeutet mehr Stromanbieter. Darunter gibt es auch dubiose Angebote.

Stuttgart - Wer die Wahl hat, hat die Qual. Der anziehende Wettbewerb im Strommarkt hat eine Vielzahl neuer Anbieter aufs Parkett der Vergleichsportale gehoben. Auch immer mehr Stadtwerke treten im Stromgeschäft gegen die Großen an.

Die Zeit, in der man sich einmal im Leben an einen Stromversorger band und ihn bis zum Tod nicht mehr wechselte, ist vorbei. Heute herrscht Wettbewerb im Geschäft, und eine Vielzahl von Anbietern buhlt um die Gunst der Kunden. Laut Verbraucherportal Verivox konnten die Haushalte Anfang 2009 unter durchschnittlich 53 Stromanbietern pro Postleitzahlengebiet wählen. Anfang dieses Jahres waren es schon 83. Zum klassischen Grundversorger - in weiten Teilen Baden-Württembergs ist das der Stromkonzern EnBW - oder dem heimischen Stadtwerk sind Dutzende neue Anbieter getreten. Sie alle bedienen sich auf ihrer Jagd nach Kunden unterschiedlicher Geschäftsmodelle, geben bei Vorauskasse Rabatte, fixieren die Preise für wenige Monate oder bieten Nachlässe, wenn sich der Kunde bereiterklärt, seine Korrespondenz mit dem Stromversorger über E-Mail abzuwickeln.

Besonders sogenannte Boni, also Dreingaben für wechselwillige Kunden, sind in Mode gekommen. Beispiel Stromio: Die Magdeburger Firma bietet in seinem Umwelt-Tarif Green einen Ökorabatt von 40 Euro. Dazu kommt ein Neukundenbonus von 165 Euro, wenn sich ein Vierpersonenhaushalt für den Versorger entscheidet. Der Anbieter Hitstrom bringt es immerhin auf insgesamt 135 Euro Rabatte für Wechselwillige. Anderswo sieht es ähnlich aus.

Experte spricht von Verbrauchertäuschung

Experten kritisieren diese Rabattschwemme zusehends. Durch deren exzessive Nutzung versuchten Firmen, die wahren Kosten der Angebote zu verschleiern, sagt etwa Christian Michaelis, Energieexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Was der wahre Preis des Stroms sei, löse sich immer mehr in Wolken auf.

Der Grund: Anders als der Arbeitspreis, also die Kosten des Stroms für jede verbrauchte Kilowattstunde, und der Grundpreis, der monatlich als fixe Gebühr zu entrichten ist, wirken die Wechselrabatte nur einmalig. Je länger der Kunde bei einem Anbieter bleibt, desto geringer wird ihre Wirkung auf die Gesamtkosten des Stroms. Und es gibt weitere Fußangeln: Die Rabatte gelten laut Kleingedrucktem nur, wenn der Kunde mindestens ein Jahr beim entsprechenden Versorger bleibt. Kommt etwa ein Umzug dazwischen, geht auch der Bonus flöten. Experte Michaelis rät daher von Angeboten ab, die sich durch Rabatte aufzuhübschen versuchen. "Das grenzt oft an Verbrauchertäuschung", sagt er.

Beim Verbraucherportal Verivox, das seit Jahren Stromversorger in Online-Tabellen nach Preis- und Servicekriterien auflistet, sieht man das Thema differenzierter. Für Kunden, denen es nichts ausmache, sich regelmäßig mit dem Thema Strom zu beschäftigen, seien die Rabatte sehr wohl interessant, sagt Verivox-Sprecherin Dagmar Ginzel. Wer jährlich den Anbieter wechsle und sich etwa durch unterschiedliche Kündigungsfristen nicht beirren lasse, könne von den Bonus-Dreingaben sogar überdurchschnittlich profitieren.

Die Deutschen sind Wechselmuffel

Allerdings: Die Mehrzahl der Kunden scheut den Lieferantenwechsel. Nach Daten der Bundesnetzagentur haben gut zwölf Jahre nach der Liberalisierung des Strommarkts erst knapp 14 Prozent der deutschen Haushalte ihrem Stromanbieter den Laufpass gegeben. Immerhin 41 Prozent haben bei ihrem Versorger einen anderen Tarif gebucht. Dennoch ist mit 45 Prozent immer noch fast die Hälfte der Haushalte Kunde der sehr teuren Strom-Grundversorgung des lokalen Platzhirschs. Und das, obwohl sich der Wechsel mittlerweile durchaus lohnen kann. Im Grundversorgungstarif der Branchengröße EnBW - EnBW Komfort - zahlt eine vierköpfige Familie mit einem Jahresverbrauch von 4000 Kilowattstunden Strom derzeit beispielsweise 1084 Euro. Beim derzeit günstigsten Vergleichsangebot der zu den Pfalzwerken gehörenden Marke 1-2-3-Energie kommt man dagegen nur auf knapp 854 Euro Stromkosten im Jahr - eine Ersparnis von 230 Euro.

Wie Stadtwerke und Energiegenossenschaften den Markt mit interessanten Angeboten aufmischen, lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der "Stuttgarter Nachrichten"