Ob in Demutshaltung oder als angebliche Wohltäter – die Bettelmethoden sind vielfältig Foto: dpa

Angebliche Sammlungen für Kinderheime, die Vesperkirche oder Behinderte: Die Maschen von aggressiven Bettlern, die Passanten mit erfundenen Geschichten an den Geldbeutel wollen, werden immer vielfältiger. Die Stadt Stuttgart geht dagegen vor – mit Folgen.

Stuttgart - Der Auftritt gleicht einem Überfall. Als er sein Auto auf einem Supermarktparkplatz in Echterdingen belädt, tritt plötzlich von hinten eine vierköpfige Gruppe an einen Mann heran. Man sei taubstumm und sammle Spenden und Unterschriften für ein Behindertenheim, steht auf einem Zettel. „Ich habe mich bedrängt gefühlt“, sagt der Rentner. Mehrfach gibt er der Gruppe zu verstehen, er sei nicht interessiert. Erst als er den Motor startet, ziehen sich die vermeintlichen Spendensammler zu ihrem eigenen Fahrzeug zurück – ein Wagen mit französischem Nummernschild.

Die Gruppe hat inzwischen Ärger mit der Polizei bekommen. Ein anderer Passant hat sie angezeigt. Als die vier aufgegriffen werden, klärt sich so manches. Taubstumm ist keiner von ihnen. Die Beteiligten haben tatsächlich zum Teil einen Wohnsitz in Frankreich, stammen aber aus Rumänien. Als sie überprüft werden, haben sie nur 30 Euro Bargeld bei sich. Zeugen für weitere Fälle zu finden, ist auf die Schnelle schwierig. Also laufen zwar die Ermittlungen bisher noch, für einen Haftbefehl reicht es aber nicht.

Sammlungsbetrug nennt sich der Vorwurf in solchen Fällen. „Betteln ist grundsätzlich nur bei Nötigung oder Betrug strafbar“, sagt Jan Holzner. In der Praxis sei die Verfolgung solcher Taten aber äußerst schwierig, weiß der Sprecher der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Zum einen ist die Dunkelziffer riesig, weil viele Betrüger gar nicht angezeigt werden. Zum anderen sei die Beweisführung kompliziert: „Meist bunkern die Betroffenen das Geld irgendwo und haben nur wenig bei sich. Es lässt sich dann kaum einzelnen Taten zuordnen, damit man konkrete Betrugsabsichten nachweisen kann.“

Vermeintliche Sammlung für die Vesperkirche

Die Maschen sind vielfältig. Für Behindertenheime wird da angeblich Geld benötigt, für Flutopfer oder für obdachlose Kinder. Je mehr Tränendrüse, desto besser. „Das bisher Frechste war bei uns eine Aktion auf der Königstraße. Da gaben Betrüger an, Geld für eine Suppenküche zu sammeln. Viele Passanten dachten natürlich automatisch an die nicht weit entfernte Vesperkirche. Sie wurden gezielt getäuscht“, erzählt Hans-Jörg Longin vom Stuttgarter Ordnungsamt. Seit das Sammlungsgesetz in Baden-Württemberg mit der Genehmigungspflicht abgeschafft worden sei, werde der Nachweis von Betrügereien immer schwieriger.

Das machen sich die Täter zunutze. Aus dem ganzen Land werden Fälle gemeldet. Innenstädte und Supermarktparkplätze scheinen besonders beliebt zu sein. Und oft nutzen die Täter, die häufig aus dem Ausland stammen, ihre Auftritte nicht nur für Sammlungsbetrug. Wer etwa zur Unterschrift gegen Tierversuche gebeten wird, sollte im einen oder anderen Fall seinen Geldbeutel besser gut im Griff haben. Gelegentlich werden auch hemmungslos falsche behördliche Sammelgenehmigungen vorgezeigt, um den Anschein der Seriosität zu erwecken.

Schwerpunkte in Echterdingen, Böblingen und Sindelfingen

Besonders auffällig ist in den vergangenen Monaten eine massive Zunahme entlang der Stuttgarter Stadtgrenzen. In vielen benachbarten Städten werden immer häufiger aggressive Bettler, aber auch Sammlungsbetrüger aktiv. Allein angezeigte Fälle, also nur die Spitze des Eisbergs, gab es seit August etwa in Böblingen 19, in Sindelfingen 13. „Oft sind die Täter aber weg, bis wir kommen“, heißt es bei der Polizei. Ansonsten erteile man Platzverweise. In Leinfelden-Echterdingen hat es laut Polizei allein seit September 20 Beschwerden gegeben. Bei sechs Fällen besteht der Anfangsverdacht des Sammlungsbetruges. Im August habe es sogar eine Strafanzeige wegen sexueller Beleidigung gegen einen Bettler gegeben.

Der Verdacht liegt nahe, dass sich entsprechende Gruppen deshalb auf die Region konzentrieren, weil das Geschäft in der Stuttgarter Innenstadt in den vergangenen Monaten deutlich schwieriger geworden ist. Seit Jahresbeginn ist die Polizei dort präsenter, seit Sommer geht man gemeinsam mit dem Ordnungsamt auch gegen aggressives Betteln strenger vor. „Wir sind jetzt rigoros. Wir erteilen Platzverweise und nehmen ihnen ihr Geld komplett ab“, sagt Longin. Deshalb verzeichne man seit einigen Monaten weniger Fälle. Ob das lange andauert, bleibe aber abzuwarten: „Wir fürchten, dass das vor Weihnachten wieder massiv zunimmt.“ Oder aber die Betroffenen haben sich bis dahin mit der Region angefreundet. Und deren Supermarktparkplätzen.