Sarrazin sinniert über Integration, Eltern streiten über Unterricht seiner Frau.

Berlin - Zum Ende des ersten Schulhalbjahres ist nicht klar, ob Ursula Sarrazin versetzt wird. Die einen geben ihr gute Noten, die anderen stellen ihr ein miserables Zeugnis aus. Allein, diese widersprüchlichen Urteile fällen Eltern ihrer Schüler: Denn Ursula Sarrazin ist 59 Jahre alt und Grundschullehrerin. Eine allzu strenge Lehrerin, die es für angezeigt hält, Schüler zu demotivieren und zu belasten, sagen ihre Kritiker; konziliant nennt sie selbst ihren Stil. Doch es geht auch um Haltung. Denn Ursula Sarrazin ist die Ehefrau jenes Mannes, der mit umstrittenen Thesen zu Bildung, Intelligenz und Integration provoziert: Thilo Sarrazin, Ex-Finanzsenator Berlins, Buchautor und Sozialdemokrat, gegen den die SPD seit September wegen angeblich menschenverachtender Ansichten ein Ausschlussverfahren führt.

Im vergangenen Herbst kam nicht etwa Thilo Sarrazin in den zuständigen Berliner Ortsverband, um sich zu erklären, zu verteidigen - seine Frau Ursula erledigte das für ihn. Beide sind SPD-Mitglieder hier in diesem gutbürgerlichen Bezirk, der am heutigen Dienstag erneut tagt. Zu den Vorwürfen gegen sich selbst wird Ursula Sarrazin hier vermutlich nicht Stellung nehmen. Doch die Verteidigungsstrategie des Paares ist klar: Weil er freimütig einräumt, seine Thesen auch von ihren Schulerfahrungen abzuleiten, fühlen sich nun beide Sarrazins gemobbt. Sie selbst führen das Wort Sippenhaft im Munde. "Die Leute denken: Wir kriegen zwar Herrn Sarrazin nicht, aber vielleicht kriegen wir Frau Sarrazin, die ist ja auch ganz nah dran."

In diesen Stunden berät ihre Schule, ob und, wenn ja, wie sie sich von der Lehrerin trennt. "Die Dame ist 59, da liegt eine Lösung auf der Hand", heißt es aus Kreisen der Berliner Schulverwaltung und des Landeselternrats. Für viele Eltern ist das Paar in seiner pädagogisch-politischen Vehemenz tatsächlich schwer zu ertragen. Konkreter Anlass für die Sonderkonferenz ist ein Beschwerdeschreiben der Schülereltern an den Schulleiter, wonach Ursula Sarrazin vor allem Kinder aus Zuwandererfamilien anschreie, beschimpfe, bloßstelle. Die Lehrerin verliere im Unterricht die Beherrschung. Sarrazin-Befürworter wiederum schreiben Briefe an den Direktor und die Elternvertreter, die diese als Drohung verstehen - die Polizei ist eingeschaltet.

"Die Schulleitung und ein bestimmter Lehrer haben gegen mich gehetzt"

Ursula Sarrazin erklärte sich inzwischen ebenfalls schriftlich: "Bis heute war von den rund 100 Kindern, die ich gegenwärtig unterrichte, kein Elternteil bei mir, um sich über irgendetwas zu beschweren." Weder Schulleitung noch Schulaufsicht hätten ihr gegenüber konkrete Vorwürfe geäußert. "Es scheint so zu sein, dass in einer bestimmten Klasse zwei bis drei Eltern türkischer Kinder üble Nachrede gegen mich üben, ohne dass mich je einer von ihnen aufgesucht hätte. Ich kenne die Eltern gar nicht." Gesprächsangeboten seien die Eltern nicht gefolgt. Ursula Sarrazin: "Die Schulleitung und ein bestimmter Lehrer haben gegen mich gehetzt." Von diesen Eltern und dem Rektor ginge das Mobbing aus.

Erst seit 2002, als Thilo Sarrazin zum Finanzsenator gekürt worden war, würden ihr rüde Unterrichtsmethoden vorgeworfen, sagt Ursula Sarrazin. Eltern beschuldigen die Lehrerin, auch schon zuvor Kinder massiv eingeschüchtert und unter Druck gesetzt zu haben. Einen Jungen deutsch-japanischer Eltern soll sie mehrfach "Suzuki" genannt haben - "unter dem Gelächter der Klassenkameraden, die ihn dann prompt auch so nennen". Andere Kinder soll die Pädagogin während des Unterrichts nicht zur Toilette gelassen haben, bis diese einnässten. "Wo bleibt da der Respekt?", fragen empörte Eltern. Ein heute 22-jähriger Ex-Schüler erinnert sich, von seiner Lehrerin vor zehn Jahren mit einer Flöte auf den Kopf getroffen worden zu sein.

"Ich habe noch nie einen Schüler geschlagen", sagt Ursula Sarrazin heute, bestreitet jede böse Absicht und dreht den Spieß um: "Ich versuche einfach nur, konsequent zu sein. Klare Regeln, klare Rituale. Sie erleichtern das Miteinander." Als Lehrer brauche sie Autorität, aber autoritär sei sie nicht. "Ich stelle Regeln auf, an die sich die Schüler halten müssen. Das ist doch ganz selbstverständlich." Lehrer seien viel zu oft inkonsequent und kapitulierten gegenüber schwierigen Schülern und deren uninteressierten Eltern. Immerhin räumt sie ein, dass sie frühere Schulen wegen Unstimmigkeiten verlassen habe - auf eigenen Wunsch. Beim letzten Mal hätten Schulleiterin und Schulrätin "sehr, sehr blass ausgesehen. Ich war diejenige, die glänzend dastand". Und doch geht es auch heute einmal mehr allein um ihre Versetzung.

Eltern- und Lehrerverbände dagegen versuchten am Montag, die Kritik zu versachlichen. Die einen fordern mehr Pädagogen, die anderen mehr Mitarbeit der Eltern. Der Schulsenat weist darauf hin, dass sich jährlich Tausende Eltern über Lehrer beschwerten. Der Oberschulrat beteuert: "Wir gehen allen Beschwerden unerbittlich nach, egal wie die Lehrer heißen."