Ministerpräsident Kretschmann hat gegen die Vermögenssteuer gekämpft und verloren. Foto: AFP

Mit welchem Steuerkonzept wollen die Grünen im nächsten Wahlkampf punkten? Seit zwei Jahren ringen sie um die Antwort auf diese Frage. Die Delegierten schaffen jetzt Fakten – und entscheiden sich für die Einführung einer Vermögenssteuer für Superreiche.

Münster - Nach langem Streit haben sich die Grünen beim Parteitag in Münster auf ein Steuerkonzept geeinigt, bei dem die großen Vermögen mehr zur Finanzierung des Staates beitragen müssen. Dabei hat sich der von den Bundestagsfraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter entwickelte Kompromissvorschlag durchgesetzt, der die Einführung einer „verfassungsfesten, ergiebigen und umsetzbaren Vermögenssteuer für Superreiche“ vorsieht. Bei der Umsetzung soll besonderer Wert auf den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Innovationskraft der Unternehmen gelegt werden.

In dem Ziel, die besonders Vermögenden stärker zur Finanzierung der Staatsausgaben heranzuziehen und damit ein gerechteres Steuersystem zu schaffen, sind die Grünen sich einig. In der Frage, welche Instrumente dazu genutzt werden sollen, tobt dagegen ein seit Jahren anhaltender Streit. Beim Parteitag standen fünf Alternativen zur Auswahl: Ein Antrag schlug Erbschafts- oder Vermögenssteuer als Alternative vor; zwei Anträge machten sich für die Kombination aus beidem stark, ein Antrag forderte den Verzicht auf die Vermögenssteuer und ein Antrag ließ die Wahl des steuerpolitischen Instrumentes dezidiert offen.

Kretschmann warnt massiv vor Vermögenssteuer

In der dreistündigen Diskussion über soziale Gerechtigkeit und gerechte Steuern hielten der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der sich strikt gegen die Einführung einer Vermögenssteuer aussprach, und der frühere Umweltminister Jürgen Trittin, der dafür warb, die zentralen Reden. Nach dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA zeigte Kretschmann sich tief besorgt über den Vormarsch populistischer Strömungen auf der Welt. „Wir sind in einer sehr, sehr ernsten Situation“, in der die Stabilität und der Zusammenhalt in Europa ernsthaft in Gefahr seien, betonte Kretschmann. Da müssten die Grünen nicht nur den Gegenpol zu Engstirnigkeit und Nationalismus markieren, sondern auch erkennen, welcher Sprengstoff in der sozialen Frage stecke.

An die Grünen appellierte Kretschmann vehement, sich gegen eine Vermögenssteuer zu entscheiden, da sie das Betriebsvermögen mittelständischer Firmen zu stark belaste. „In konjunkturell guten Zeiten können sie es vielleicht noch ertragen, aber in schlechten Zeiten geht es sofort an die Substanz.“ Als Ministerpräsident seines Bundeslandes setze er darauf, gegen Steuerschlupflöcher und –tricks vorzugehen. „Das allein bringt sechs Milliarden.“ In einer Situation, in der durch die politische Entwicklung in den USA und die Wirtschaftsentwicklung Chinas neue Herausforderungen vor den hiesigen Betriebe lägen, „ist es der falsche Weg, in die Vermögenssteuer zu gehen. Denn es schwächt den Mittelstand, und der ist ein starkes Bollwerk gegen den Raubtierkapitalismus“, sagte Kretschmann. „Das müsst ihr einfach verstehen“, sagte er werbend an die Delegierten gewandt. „Als Ministerpräsident von Baden-Württemberg trage ich die Verantwortung dafür, dass die mittelständische Wirtschaft in guter Verfassung ist und bleibt. Was politisch passiert, wenn wir in Arbeitslosigkeit hineinkommen – da wird’s mir Angst und Bange.“

Trittin will deutschen Steuersumpf für Vermögen trocken legen

Jürgen Trittin, der für den linken Flügel die Schlüsselrede hielt, gab Kretschmann nur in einem Punkt recht: dass illegale Steuerhinterziehung und legale Steuervermeidung ebenfalls zur Ungerechtigkeit in Steuerfragen beitrügen und dass diese Wege versperrt werden müssten. „Aber es gibt auch eine Steueroase in Deutschland: Deutschland ist ein Steuersumpf für Vermögen“, fügte Trittin hinzu. Es sei nicht länger hinnehmbar, dass die Vermögensbesteuerung in Deutschland nicht einmal dem Durchschnitt der Industrieländer entspreche. „Wir sollten wenigstens aufschließen, das hat auch nichts mit der Gefährdung von Arbeitsplätzen zu tun“ forderte er. „Ein Land, in dem Raucher doppelt so viel zur Finanzierung der Staatsausgaben beitragen wie die Vermögenden - das ist einfach nicht gerecht.“ Der Vorschlag, den Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter gemacht hätten, „beschränkt sich auf sechs bis acht Milliarden Euro – das ist ein guter Kompromiss“, sagte Trittin.

Sowohl Trittin als auch Kretschmann erhielten viel Beifall. Die Reaktionen auf Trittin waren allerdings noch euphorischer. Die Suche nach einem Steuerkonzept beschäftigt die Grünen seit zwei Jahren, eine eigens eingesetzte Kommission konnte keinen Kompromiss finden, auch der Bundesvorstand und die beiden Parteichefs Simone Peter und Cem Özdemir konnten sich nicht zu einer einheitlichen Linie durchringen. Nun haben die 822 Delegierten entschieden. Was Superreiche sind, ist zwar nicht so genau definiert. Laut Jürgen Trittin werde weniger als ein Prozent der Bürger in Deutschland davon erfasst.

Laut Kretschmann und seiner Finanzministerin Edith Sitzmann ist die Gefährdung von Arbeitsplätzen aber eben nicht ausgeschlossen. Sie wollten eine Absage an die Vermögenssteuer durchsetzen, scheiterten mit diesem Plan aber am Votum der Delegierten.

Die Finanzpolitikerin Anja Hajduk forderte aufgrund der schwierigen Verfassungslage bei beiden Steuerformen in ihrem Antrag, offen zu lassen, ob die Vermögens- oder die Erbschaftssteuer zugunsten einer gerechteren Systematik genutzt werden soll. Die Grünen dürften sich nicht damit begnügen, „eine Vermögenssteuer ins Schaufenster zu stellen, für die noch niemand ein realisierbares Modell hat“, sagte sie.

Aber auch Anja Hajduk und ihre Unterstützer konnten sich am Ende nicht durchsetzen. Der Parteitag legte sich auf eine Vermögenssteuer für Superreiche fest. Für den Ex-Parteichef und Europaabgeordneten Reinhard Bütikofern steht damit fest: „Wenn wir behaupten, wir wissen, wie es geht mit der Vermögenssteuer, können aber nicht sagen, wie, dann führt man damit keinen Wahlkampf mit dem man gewinnt, sondern einen Besserwisserwahlkampf.“