Erst die Desinfektion, dann die Prüfung: Am Mittwoch schritt das Land in Balingen ein. Foto: fk

Im Streit um die Ohrmarkenpflicht ordnen die Behörden die Kontrolle der Tiere an. Der Landrat kritisiert die Landesverwaltung.

Für manchen Steuersünder und Straffälligen gewährt das Land seit jeher eine Art Weihnachtsfrieden. Im Fall des Rinderflüsterers von Balingen hingegen hat Grün-Rot nun Härte gezeigt.

Balingen - Es ist ein kalter, zugiger Dezembermorgen, so wie man das in dieser Jahreszeit von der Schwäbischen Alb kennt. Mittwoch, 8.30 Uhr: Die Lage ist angespannt auf dem Hof von Landwirt Hermann Maier in Balingen. Seit Wochen stehen er und seine Tochter Annette im Visier der Landesbehörden, die Akte des sogenannten Rinderflüsterers ist auch bei der EU in Brüssel ein Topthema. Denn die Maiers weigern sich, ihre Freilandherde mit rund 260 Rindern mit den von der EU vorgeschriebenen Ohrmarken zu kennzeichnen. Stattdessen verwenden sie High-Tech-Mikrochips, die den Tieren eingespritzt werden. Das Argument: Damit wird den Tieren weniger Schmerz zugefügt, zudem ist es fälschungssicherer als die Ohrmarken. Doch das Landwirtschaftsministerium in Stuttgart mag das Vorgehen des Landwirts nicht länger akzeptieren und pocht auf geltendes EU-Recht. Und so rücken zu dieser frühen Morgenstunde im Auftrag des Regierungspräsidiums Tübingen die Kontrolleure an.

Noch in der Nacht hat Günther-Martin Pauli, Landrat im Zollernalbkreis und CDU-Landtagsabgeordneter, versucht, Landwirtschaftsminister Alexander Bonde (Grüne) von dem Durchgreifen abzubringen. Es sei doch bekannt, so Pauli, dass die Tiere der Maiers keine Ohrmarke, sondern den Chip tragen, „dazu braucht man keine Prüfung“. Eine aufwendige Kontrolle der Tiere gerade in der Vorweihnachtswoche sei für den Familienbetrieb wirtschaftlich „nicht zumutbar“, es drohten Einnahmeausfälle. Zudem befinde sich das Land doch im Rechtsstreit mit dem Landwirt um die Ausnahmegenehmigung von der Ohrmarkenpflicht – sprich, wenn das Land nun einseitig eingreife, sei das juristisch heikel. „Die Terminierung gerade in dieser Zeit kann als Provokation verstanden werden, und eine Eskalation ist programmiert“, schreibt Pauli an den Minister nach Stuttgart.

Keine Beanstandungen

Doch alle Bitten, den Termin zur Überprüfung der Tiere wenigstens zu verschieben, werden abgeschmettert. Die Kontrolleure rücken an, desinfizieren ihre Kleidung und machen sich an die Arbeit. „Ich hoffe nicht, dass Sie mir jetzt eine Tierseuche einschleppen“, sagt Betriebschefin Annette Maier noch. Und, auch das macht sie den Behördenvertretern klar: Bei dieser Fülle an Rindern könne sie nicht garantieren, dass alle Tiere ruhig bleiben, wenn die Damen und Herren über Stunden mit ihren Lesegeräten durch den Stall marschieren. „Wir wissen schon, was möglich ist, und versuchen es jetzt mal“, sagt ein Kontrolleur, „wenn es nicht geht, brechen wir halt ab.“ Und siehe da: Zwar wird manches Tier in dem stundenlangen Prozedere mal unruhig. Aber alle Vermutungen der Behörden, die Maiers würden sich aus Prinzip weigern, die Kontrolle vornehmen zu lassen, sind umsonst. Am Ende des Tages sind rund 200 Tiere überprüft. Das Ergebnis: Keine Beanstandungen.

Für Landrat Pauli, der mit Blick auf die ohnehin bevorstehende EU-Reform zur Tierkennzeichnung seit Wochen für eine Duldung des Maier’schen Verfahrens geworben hatte, ist das Vorgehen des Landes denn auch nicht nachvollziehbar: „Was hier und heute gemacht worden ist, empfinde ich als Schikane der Landesverwaltung.“ Und Pauli fügt hinzu: „Der Zeitpunkt dieser Kontrolle kurz vor Weihnachten ist bösartig.“ Der Adressat der Kritik sind das Regierungspräsidium Tübingen und das Landwirtschaftsministerium in Stuttgart.

Dort aber wehrt man sich heftig. Nachdem Landwirt Maier bereits im Frühjahr den Antrag auf EU-Fördermittel für seinen Betrieb gestellt habe und ihm nach Informationen unserer Zeitung ein Zuschuss von bis zu 25.000 Euro winkte, sei klar gewesen, dass „noch in diesem Jahr eine Kontrolle der Tiere stattfinden muss“, sagt eine Sprecherin von Landwirtschaftsminister Bonde am Mittwochnachmittag. Im Klartext: erst die Kontrolle, dann das Geld. Zur Erinnerung: Bonde hatte wiederholt darauf hingewiesen, dass dem Landwirt und dem Land millionenschwere Ausfälle drohen würden, wenn man das EU-Recht nicht einhalte.

Im Übrigen, so Bondes Sprecherin, sei es doch das Landratsamt gewesen, das am Montag dieser Woche die Kontrolle der Herde angekündigt habe, und nach EU-Recht müsse die Aktion dann „auch innerhalb von 48 Stunden vollzogen“ werden. „Das Landratsamt hat sich also selbst in Zugzwang gebracht“, betont die Sprecherin und weist damit jegliche Schuld der Landesregierung an der Eskalation zurück. Eine Behauptung, die der Landrat nicht auf sich sitzen lassen will. „Am vergangenen Freitag gab es eine schriftliche Anweisung des Regierungspräsidiums, dass wir die Kontrolle vorzunehmen haben. Wir selbst hätten diesen Schritt so kurz vor Weihnachten nicht gemacht“, sagt Pauli. Etwas anderes zu behaupten sei eine „feige Verzerrung von Tatsachen“. Kein Zweifel: Der Streit um den Rinderflüsterer, der in der Landwirtszene längst zum Vorkämpfer gegen veraltete Vorschriften geworden ist, dürfte weitergehen.