Ältere Diesel haben in Stuttgart einen schweren Stand. Ausnahmen aus Gründen des Gesundheitsschutzes wollen Stadt und Land jetzt doch zulassen – allerdings nur in einem engen Rahmen. Foto: dpa/Marijan Murat

Noch vor wenigen Wochen hat das Land coronabedingte Ausnahmen von den Fahrverboten in Stuttgart kategorisch abgelehnt. Jetzt gibt es sie doch – doch kaum jemand hat das mitbekommen.

Stuttgart - Angesichts der hohen Corona-Infektionszahlen reißen die Diskussionen über Ausnahmen von den Stuttgarter Dieselfahrverboten nicht ab. Dabei haben Stadt und Land jetzt offenbar eine Rolle rückwärts vollzogen – allerdings weit gehend unbemerkt von der Öffentlichkeit.

Auf der Internetseite der Stadt zu den Fahrverboten ist seit kurzem eine kleine, aber feine Änderung eingearbeitet. „Vulnerable, besonders schutzbedürftige Personen erhalten bei Vorlage eines ärztlichen Attestes eine Ausnahme von den Verkehrsverboten, zunächst befristet bis 31. Januar 2021“, heißt es da jetzt. Wer genau unter diese Regelung fällt, wird nicht näher erläutert. Auch Zahlen, wie viele Anträge es bisher gegeben hat und wie viele davon akzeptiert worden sind, erfasst man bei der Stadt nach Angaben einer Sprecherin nicht.

Der Vorgang ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil Stadt und Land noch vor kurzem neuerliche Ausnahmen von den Fahrverboten für Diesel der Schadstoffklassen 4 und 5 kategorisch ausgeschlossen hatten. Anders als im Frühjahr, als wegen der Coronakrise nicht nur gesundheitlich gefährdete Menschen, sondern zum Beispiel auch Angehörige der kritischen Infrastruktur einen Antrag stellen konnten.

Ablehnung noch vor kurzem

In einem Brief des Verkehrsministeriums an die Bürgerinitiative „Gegen Fahrverbot – Für freie Mobilität in Deutschland“ schrieb Ministerialdirektor Uwe Lahl, das Leben in Deutschland habe sich unter Beachtung der Infektionsschutzmaßnahmen weitgehend normalisiert. „Der ÖPNV verkehrt wieder im Regelbetrieb, sodass die vollen Kapazitäten zur Verfügung stehen“, heißt es da. Man behalte das Geschehen im Blick, aber die Fahrverbote dienten ebenfalls dem Gesundheitsschutz. „Ausnahmegenehmigungen werden als derzeit nicht erforderlich angesehen“, endete Lahl.

Diese Einschätzung scheint sich nun geändert zu haben. „Die für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen zuständige Landeshauptstadt Stuttgart und das Verkehrsministerium haben die Infektionslage im Blick und reagieren bei Erforderlichkeit. Eine Abstimmung zwischen Land und Stadt erfolgt dabei jeweils“, sagt ein Sprecher des Verkehrsministeriums. Gleichwohl seien solch umfangreiche Ausnahmemöglichkeiten wie im Frühjahr „unter anderem durch die zwischenzeitlich eingeführte Maskenpflicht im ÖPNV nicht mehr notwendig“.

Vertreter der Bürgerinitiative kritisieren den Schlingerkurs als „Verhöhnung der Corona-Toten“. Menschen in schützenswerte und nicht schützenswerte einzuteilen sei menschenverachtend. „Das Virus schädigt auch 30-Jährige“, sagt ein Sprecher und fordert umfassende Ausnahmen von den Fahrverboten. Man könne schließlich derzeit nicht sicher sagen, wie hoch die Ansteckungsgefahr im öffentlichen Nahverkehr sei. Kritik kommt auch auf, weil die Änderung nicht wirklich öffentlich gemacht worden sei. Die Stadt verweist in diesem Zusammenhang auf ihre Internetseite.

Kritik auch von der CDU

Nicht weit genug geht die Regelung aber auch der CDU im Landtag. „Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten haben gemeinsam das Ziel ausgegeben, die Kontakte in den nächsten Wochen um 75 Prozent zu reduzieren, um die zweite Corona-Welle zu brechen. Auch wenn wir derzeit keine Erkenntnisse haben, dass Busse und Bahnen ein Infektionstreiber sind, finden dennoch auf dem Weg zur Arbeit mit dem ÖPNV zahlreiche Kontakte statt“, sagte der verkehrspolitische Sprecher Thomas Dörflinger unserer Zeitung. Man müsse deshalb insbesondere für die Menschen, die in der kritischen Infrastruktur arbeiten, Alternativen ermöglichen. „Wir brauchen daher in der aktuellen Lage viel großzügigere Ausnahmen von den bestehenden Fahrverboten“, forderte Dörflinger. Vorbild könne die Handhabung aus dem März diesen Jahres sein.

Das freilich würde die nächste Rolle rückwärts bei Stadt und Land erfordern.