Eine der Optionen, mit der die Energiewende gelingen soll: Biogas. Foto: dpa-Zentralbild

Der Bau und der Betrieb von Biogasanlagen unterliegen in der Regel strengen Vorschriften. Doch ein Fall im Land wirft die Frage auf: Was ist, wenn die Aufsichtsbehörden das geltende Recht fragwürdig interpretieren?

Bad Friedrichshall/Stuttgart - Vor wenigen Jahren galt Biogas als Energie der Zukunft schlechthin und unverzichtbar für die Energiewende. Weil durch die Vergärung einer Biomasse aus Mais, Gülle und landwirtschaftlichen Abfallstoffen Gas entsteht. Weil sich Strom und Wärme aus dem Gas herstellen lässt. Und weil das Gas gespeichert werden kann – was im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energien ein entscheidender Vorteil ist.

Inzwischen ist der große Biogas-Boom allerdings verflogen. Seit die große Koalition entschieden hat, die Förderung zu drosseln, ist es nur noch bedingt lukrativ, neue Biogasanlagen zu bauen.

900 Anlagen in Baden-Württemberg

In Baden-Württemberg sind bereits rund 900 solcher Anlagen errichtet. Seit Juni 2013 wird auch am Rande Bad Friedrichshalls (Landkreis Heilbronn) eine Biogasanlage betrieben. Rechtswidrig, wie der Bad Friedrichshaller Bürger Werner Lindl meint. Unterlagen, die unserer Zeitung vorliegen, stützen seine These. Doch es gibt ein Problem: Der ganze Fall gleicht einem Dickicht von technischen, bau- und immissionsschutzrechtlichen Fragen und ist dermaßen komplex, dass es Tage rauben kann, all seine Facetten samt der personellen Verflechtungen zu durchdringen.

Je nach Aspekt sind unterschiedliche Behörden zuständig: mal das Baurechtsamt Bad Friedrichshall, mal das Landratsamt Heilbronn und mal das Regierungspräsidium (RP) Stuttgart. Und die weisen gerne darauf hin, dass Gerichte sich bereits mit der Biogasanlage in Bad Friedrichshall befasst und festgestellt hätten, dass alles in Ordnung sei. Der Haken an diesem Hinweis ist: Den brisanten Kern des Falls haben die Richter nie behandelt.

Dabei geht es vor allem um zwei Fragen: Ist die installierte Produktionsleistung der Biogasanlage höher als genehmigt? Und falls ja, inwieweit liegen dann die Voraussetzungen für die baurechtliche Privilegierung der Biogasanlage vor?

Die SLK-Kliniken werden auch mit dem Biogas versorgt

Unstrittig ist: Von der Biogasanlage beziehen drei Blockheizkraftwerke (BHKW) Gas. Nur eines davon steht am Standort der Anlage selbst. Die beiden anderen, die die SLK-Kliniken am Plattenwald mit Strom und Wärme versorgen, sind über eine 900 Meter lange Gasleitung mit der Anlage verbunden. Laut dem Störfallkonzept des Anlagenbetreibers, das unserer Zeitung vorliegt, beträgt die elektrische Leistung der drei BHKW insgesamt 810 Kilowatt. Rechnet man dies unter Berücksichtigung der technischen Daten und dem anzunehmenden durchschnittlichen Energiegehalt des Biogases um, ergibt sich eine mögliche maximale Produktionsmenge von rund 3,2 Millionen Normkubikmeter Biogas pro Jahr.

Genehmigt ist laut der Baugenehmigung der Stadt Bad Friedrichshall aus dem Jahr 2011 aber nur eine Kapazität von 2,3 Millionen Normkubikmeter Biogas pro Jahr – die höchste Menge, die bei Anlagen im Außenbereich überhaupt erlaubt ist.

Ist mit einem Bußgeld alles abgegolten?

Brisant: Im Jahr 2014 überschritt die Anlage die erlaubte Gasmenge tatsächlich um rund 187 000 Normkubikmeter. Das Landratsamt Heilbronn ging von einer fahrlässigen Begehungsweise aus. Es stellte in einem Bußgeldbescheid vom April 2015, der unserer Zeitung vorliegt, gleichwohl fest, dass infolge der Kapazitätsüberschreitung eine Privilegierung nach Baugesetzbuch „nicht mehr gegeben“ sei. In anderen Worten: Die Anlage entspricht nicht der Genehmigung.

Zwar musste der Betreiber deshalb ein Bußgeld in Höhe von 5000 Euro bezahlen. Doch es bleiben eine Menge Fragen: Hätte die überdimensionierte Anlage so überhaupt gebaut und in Betrieb gehen dürfen? Müsste die Anlage nach geltendem Recht nicht stillgelegt oder zumindest zurückgebaut werden? Blenden die Behörden die Rechtsfolgen aus? Und inwieweit haben diese diesbezüglich überhaupt einen Ermessensspielraum?

Das RP Stuttgart überwacht die Anlage

Auf Fragen unserer Zeitung erklärt das RP Stuttgart als zuständige Immissionsschutzbehörde in einer schriftlichen Stellungnahme, dass bei der Gasproduktionsleistung das Einhalten der genehmigten Biogasmenge maßgeblich ist. Dass die genehmigte Biogasmenge nicht überschritten werde, stelle man seit 2015 dadurch sicher, dass man die betreffende Biogasanlage regelmäßig überwache, so die Behörde.

Auf Fragen zur maximalen Produktionsleistung der Anlage weicht das RP jedoch aus. Es betont stattdessen, dass die Gaserzeugung ein biologischer Prozess sei, der durch die Art und die unterschiedliche Zusammensetzung der eingesetzten Stoffe Schwankungen unterworfen sei, und deshalb ein Leistungspunkt „nur schwer festgelegt werden“ könne. Die Betreiber reagieren auf Anfrage unserer Zeitung nicht.

Können Behörden die Gefahren im Griff haben?

In einem ähnlich gelagerten Fall in Niedersachsen beschied das Oberverwaltungsgericht Lüneburg am 12. Dezember 2012 derweil, dass die zuständige Behörde nur dann von einer Stillegung einer formell illegalen Anlage absehen dürfe, wenn die Anlage offensichtlich doch genehmigungsfähig sei. Der zuständigen Behörde sei dabei nur ein eingeschränktes Ermessen eingeräumt. Die Annahme, eine Behörde habe die Umwelteinwirkungen und die Gefahrenlage „im Griff“, sei nicht überzeugend, so die Richter in Lüneburg.

In Baden-Württemberg ist der Beschluss freilich nicht bindend. Warum die Behörden im Südwesten aber genau aufs Gegenteil beharren, bleibt ihr Geheimnis.