Regierungspartner und Rivalen: Ministerpräsident Winfried Kretschmann (rechts) und die CDU-Spitzenkandidatin, Kultusministerin Susanne Eisenmann Foto: dpa/Bernd Weissbrod

Grüne und CDU im Land beharken sich früher als erwartet. Ministerpräsident Winfried Kretschmann steht im Kreuzfeuer – parteipolitisch und als Regierungschef.

Stuttgart - Dass jedes Bundesland sein eigenes Ding macht, ist der Corona-geplagte Bürger gewohnt. Schon seltener kommt es vor, dass die Partner ein und derselben Regierung unterschiedliche Parolen ausgeben – so wie aktuell in Baden-Württemberg der Fall. Da verkündet am Dienstag Grünen-Regierungschef Winfried Kretschmann, dass künftig 10 Personen bei private Feiern erlaubt seien, im Freien sogar 20. Doch dann erklärt die CDU, man trage das nicht mit: „Was machen die 20 Menschen im Garten, wenn es anfängt zu regnen?, ätzt Generalsekretär Manuel Hagel.

Die Kabbelei ist nur die jüngste in einer langen Reihe. Von Foulspiel war wechselseitig schon vor Corona die Rede – etwa im Streit um das Polizeigesetz. Doch das Virus verursacht offenbar nicht nur Covid-19, sondern auch ein verfrühtes Wahlkampffieber: „Die Koalition ist durch“, sagt ein grüner Spitzenmann, während ein CDU-Abgeordneter meint: „Da hat sich etwas verändert.“

Man sammelt Vorwürfe

So muss es früher, als noch das Schuldprinzip galt, bei Scheidungen gewesen sein: Man sammelt wechselseitig Vorwürfe. Die Grünen zum Beispiel listen sorgsam auf, wie oft CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann lautstark Corona-Hilfspakete für diesen und jenen verlangt, um damit öffentlich zu punkten. Ihr Amtschef Michael Föll, der die CDU-Ressorts koordinieren soll, vertrete intern nur noch parteigefärbte Interessen, heißt es. Als Paradebeispiel dient ihre Forderung nach einem 300-Millionen-Paket für die Gastronomie – dabei sei man doch überein gekommen, zunächst alle Ressortforderungen zu sammeln, maulen die Grünen.

Auf der Gegenseite lacht man gequält auf und verweist auf die 600 Millionen für die Unikliniken. In Windeseile habe der Koalitionspartner das Geld für sein Ressort verbucht, dann aber bei der CDU-Forderung nach der Gastronomiehilfe auf ein geordnetes Verfahren gepocht. Dabei habe doch Grünen-Finanzministerin Edith Sitzmann anfangs den 6,2 Milliarden breiten Rettungsschirm gar nicht aufspannen wollen.

Grüne Musterbriefe

Bis in jede Faser hat sich Eisenmann über die Kritik an ihrer Kita-Politik geärgert. Weniger, weil der Reutlinger Grünen-Abgeordnete Thomas Poreski ihr öffentlich vorwarf,, sie stehe nur „am Spielfeldrand“ und kommentiere das Geschehen, anstatt den Kitas eine Öffnungsperspektive zu bieten. Es waren eher die Musterbriefe, mit denen gleich mehrere Grünen-Abgeordnete bei Bürgermeistern Stimmung machten („wir erwarten daher vom Kultusministerium . . .“), die sie aufbrachten. Dabei wisse doch jeder, dass ihr Haus weder Rechtsträger sei noch die Personalhoheit für Kitas besitze, schrieb sie einen giftig-kühlen Brief an den „lieben Andreas“ Schwarz, der die Grünen-Fraktion führt.

So geht das hin und her. Und dann gibt es ja auch noch die Dauerbrenner aus der Vor-Corona-Zeit: Dieselfahrverbote und Nahverkehrsprobleme. Immer wieder setzt die CDU Nadelstiche gegen Verkehrsminister Winfried Hermann – und das wird wohl bis zum Wahltag am 14. März 2021 anhalten. Eisenmann weiß, dass sie angreifen muss, und sie gefällt sich in der Solistenrolle. Forsch bezweifelte sie kürzlich, dass Kretschmann überhaupt fünf Jahre regieren wolle und versicherte: „Mich kriegt man über fünf Jahre.“ Die Grünen andererseits registrieren mit Unbehagen, wie ihre Umfragewerte auch im Südwesten bröckeln. Das Institut Insa sah sie im April sogar hinter der CDU. Ihr Zugpferd heißt Kretschmann, und der gibt gerade den streng waltenden Hausvater. Für kleinliches Gezerre hat er angeblich keinen Sinn. Vom „Rattenrennen“ ist in seinem Umfeld die Rede, wenn die Gegenseite mal wieder versucht, mit Schlagzeilen kleine Geländegewinne zu erzielen.

Kritik am Regierungsstil

Doch sein in neun Jahren geformter Regierungsstil wird im Landtag zunehmend als autokratisch empfunden. Dass die CDU am Mittwoch vorschlug, die Systematik der Verordnungen zu ändern und „von der Regel des Verbots hin zur Regel der Freiheit“ zu wechseln, zielt natürlich auch auf ihn. Die Oppositionsfraktionen rütteln schon länger an diesem Tor und fordern, dass wichtige Entscheidungen wieder im Parlament fallen. Kretschmann steht also im Kreuzfeuer – parteipolitisch und als Regierungschef.