Er bringt viele Fahrgäste zum Schmunzeln: Der 37-jährige Slowake Julius Kalocsai setzt auf Freundlichkeit und Humor als Vertriebsstrategie. Foto: Cedric Rehman

Julius Kalocsai fällt vielen auf, die regelmäßig an der Stuttgarter Stadtbahnhaltestelle Charlottenplatz umsteigen. Er verkauft seine Straßenzeitungen mit Witz und Freundlichkeit.

S-Mitte - Die „Lady“ strahlt. Die Passantin hatte schon ihren Geldbeutel gezückt, bevor der Trottwar-Verkäufer Julius Kalocsai sie an der Stadtbahnhaltestelle Charlottenplatz mit dem englischen Wort für Dame angesprochen hat. Das kurze Gespräch mit Kalocsai hat ihr offenbar den Morgen versüßt. Sie gibt Kalocsai ein Trinkgeld und verabschiedet sich mit einem Lächeln.

Wer regelmäßig an der Haltestelle Charlottenplatz umsteigt, der hört, wie der Slowake seine potenzielle Kundschaft umgarnt. „Guten Morgen, Chef“, „Schönen Tag, meine Dame“ – je nachdem hört sich Kalocsai an wie ein Charmeur der alten Schule. Oder wie der Kumpel, der einem vor einem harten Arbeitstag aufmunternd auf die Schulter klopft.

Der Verkäufer schäkert gerne

Kalocsais Markenzeichen ist seine Freundlichkeit. Nicht einmal die Gestressten können sich ihr völlig entziehen. Er schäkert mit Passanten, gleichgültig, ob sie ihm eine Zeitung abkaufen oder nicht. Wer eine Weile stehen bleibt und Kalocsai beobachtet, stellt fest, nur die Wenigsten gehen grußlos an ihm vorbei.

Der 37-Jährige verkauft seit 2014 Straßenzeitungen. Er kam damals aus der Slowakei nach Stuttgart. Kalocsai wollte Geld verdienen, weil es, wie er meint, in der Slowakei für ihn keinen Job gab. Kalocsai gehört zur Minderheit der Roma.

Der Slowake lebt nun ein Leben, das in einem anderen Kontext nach Weltläufigkeit und beruflichen Erfolg klingen würde. Viele Europäer verdienen wie Kalocsai Geld in einem Land und haben ihren Lebensschwerpunkt mit Partner und Familie aber in einem anderen.

Kalocsai pendelt in die Slowakei

Der europäische Binnenmarkt und die damit verbundene Freizügigkeit der Arbeitnehmer ermöglichen das. Kalocsais Leben ist aber etwas anders, als das von Europäern, die etwa dem nächsten Sprung auf der Karriereleiter zuliebe ihr Leben zwischen unterschiedlichen europäischen Ländern aufteilen. Kalocsai pendelt mit dem Bus im Abstand mehrerer Wochen zwischen Stuttgart und seinem fern der Hauptstadt Bratislava liegenden Wohnort. Er finanziert mit seinen Einkünften aus dem Verkauf der Straßenzeitung das Leben seiner Familie. Kehrt der Slowake nach Stuttgart zurück, wartet keine Zweitwohnung auf ihn. Er übernachtet im Schlossgarten.

Kalocsai kauft abends die Trottwar-Zeitungen für den halben Preis, die er am kommenden Tag weiter vertreibt. Er klemmt sie sich unter den Arm und geht zu seinem Schlafplatz im Schlossgarten. Wenn es regnet oder kalt ist, schlafe es sich dort schlecht, sagt er. Kalocsai zeigt mit dem Finger auf seinen Brustbereich und die Nieren. Er habe an diesen Stellen Schmerzen nach einer durchfrorenen Nacht, meint er. „Manchmal bekomme ich kein Auge zu“, sagt er.

Die Nächte bereiten Schmerzen

Am nächsten Morgen zieht Kalocsai dann ein rotes Hemd von Trottwar über seine Oberbekleidung. Er packt seine Zeitungen ein und läuft zum Charlottenplatz. Kalocsai weiß, egal wie müde er ist, für die kommenden Stunden muss er vor guter Laune sprühen – denn das ist sein Erfolgsrezept. Er benötige das Geld der vergangenen Woche für Reparaturen an der Wohnung seiner Familie in der Slowakei, meint er. „Meine Kinder brauchen auch neue Schuhe“, sagt der Slowake.

Woher Kalocsai nach kalten Nächten im Schlossgarten die Kraft nimmt für Scherze und Komplimente? „Ich habe mal für einen Fußballclub gespielt, das geht nur mit guter Laune“, erzählt er. Kalocsai träumt davon, in Stuttgart ein Zimmer zu finden, um nicht mehr unter freiem Himmel übernachten zu müssen. „Für mich ist das aber zu teuer“, sagt er. Bis zu seiner nächsten Nacht im Schlossgarten sind es noch einige Stunden hin. Solange ist Kalocsai der Trottwar-Verkäufer vom Charlottenplatz, der für alle ein Lächeln auf den Lippen hat.