Martin Grunenberg vor den Trottwar-Stapeln, die individuell für jeden Verkäufer abgezählt zum Abholen bereit liegen. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Der Verkauf der Straßenzeitung Trottwar bietet Menschen, die am Existenzminimum leben, ein kleines Zubrot – aber nicht nur das: Der Verein ist vielfältig im sozialen Bereich engagiert.

Stuttgart - Bei Kälte und bei Hitze stehen sie in der Breuninger-Unterführung, in der U-Bahn-Station Charlottenplatz, aber auch außerhalb vor den Lebensmittelmärkten in Botnang oder in Plieningen: Die Männer und Frauen mit der charakteristischen roten Schürze, die die Straßenzeitung „Trottwar“ verkaufen, sind überall in der Stadt präsent – seit 25 Jahren. Der gemeinnützige Verein hat am Samstag sein Jubiläum mit einem großen Fest gefeiert: Schirmherr und Festredner war Innenminister Thomas Strobl. Und gekommen waren viele der insgesamt 170 Verkäufer und Verkäuferinnen von Heilbronn bis Ulm, von Sindelfingen bis Aalen. Die „Trottwar“-Zentrale in der Stuttgarter Falkertstraße hat bundesweit von allen Redaktionen der Straßenzeitung das flächenmäßig größte Verbreitungsgebiet, erklärt Martin Grunenberg. Der Betriebswirt leitet die immer vielfältiger werdenden Verwaltungsaufgaben des Vereins.

Stammkunden bei Trottwar

Tatsächlich verbirgt sich hinter dem Namen „Trottwar“ viel mehr als die monatlich mit 25 000 Exemplaren erscheinende Straßenzeitung. Die gibt Beziehern von Sozialleistungen und Rentnern die Möglichkeit, als freie Verkäufer ein Zubrot zu verdienen. Allerdings gilt eine strikte Regelung, wer wie viele Exemplare verkaufen darf. Der Preis der Straßenzeitung ist 2,60 Euro. Die frei arbeitenden Verkäufer erwerben sie beim Verein für die Hälfte, den Gewinn von 1,30 Euro pro Exemplar dürfen sie behalten. Etliche Verkäufer sind fest angestellt und beziehen ein Grundgehalt, das durch die Zahl der verkauften Zeitungen aufgestockt wird.

„Wer schon länger verkauft, hat seine Stammkunden“, berichtet Grunenberg – und auch davon, dass Verkäufer, die einige Zeit zum Beispiel wegen Krankheit nicht an ihrem Platz stehen, vermisst werden. „Immer wieder rufen bei uns Leute an und fragen nach, wo ihr Verkäufer steckt.“

Pfandflaschen vom Flughafen

Der Verein hat seit sechs Jahren auch ein florierendes Pfandflaschenprojekt. So sammeln die Mitarbeiter zur Hauptreisezeit am Flughafen im Schichtbetrieb die eigens dafür aufgestellten Plexiglas-Behälter ein, in die die Reisenden vor dem Einchecken ihre oft noch halb- oder viertelvollen Plastikflaschen werfen, weil diese nicht durch die Kontrolle dürfen. „Diese Mitarbeiter müssen zuverlässig sein, sonst meckert die Flughafenleitung“, betont Grunenberg. Behälter und Flaschen werden im Keller der Zentrale gereinigt. Mit dem Pfandprojekt waren die Stuttgarter Pioniere, heute arbeiten an sieben deutschen Flughäfen 25 festangestellte Mitarbeiter in diesem Bereich.

Trottwar sorgt für die Bestattung

Bekannt im Stadtbild sind auch die „Trottwar“-Führungen: Thomas Schuler, der lange selbst Platte machte, und Doris Walter begleiten ihr Publikum zu Orten, an denen Menschen ohne Wohnsitz ums Überleben kämpfen. Und manchmal ist „Trottwar“ für die Mitarbeiter auch ein wenig wie eine Familie: Seit Kurzem hat der Verein wieder eine festangestellte Sozialarbeiterin, die sich nicht nur um die Behördenkorrespondenz der Verkäufer kümmert, sondern auch da ist, wenn sie praktische Hilfe benötigen: etwa wenn sie einen neuen Kühlschrank oder neue Kleidung brauchen. „Wir bekommen viele Kleiderspenden, manchmal auch von Firmen“, berichtet Grunenberg.

Der Verein erhält keine öffentliche Fördermittel und erwirtschaftet über die Zeitung und Spenden einen Jahresetat von 1,25 Millionen Euro. Davon werden die Kosten für die Zahnbehandlung für einen der Mitarbeiter draußen bezahlt. „Diese Leute leben ja alle am Existenzminimum“, sagt der Verwaltungsmann.

Viele haben keinen familiären Rückhalt. Deshalb sorgt der Verein für die letzte Ruhestätte. Auf dem Cannstatter Hauptfriedhof hat er 60 Urnengräber reserviert. Damit wird verhindert, dass die mittellosen Mitarbeiter anonym bestattet werden. Außerdem finanziert „Trottwar“ die Trauerfeier und den Leichenschmaus, wenn keine Angehörigen das übernehmen können.

Trott-Art verkauft Kunst

Seit 2016 ist der Verein mit seiner Galerie Trott-Art, die der Geschäftsführer Helmut Schmidins Leben rief, unter die Ausstellungsmacher gegangen. Verschiedene Künstler schulen sozial benachteiligte Menschen in den unterschiedlichen kreativen Techniken. So fand im Sommer 2019 ein Workshop in einem Steinbruch auf der Schwäbischen Alb statt. Dessen Ergebnisse und weitere Kunstwerke sind beim Weihnachtsmarkt am 7. Dezember, 10–20 Uhr, und am 8. Dezember, 10–18 Uhr, (Falkertstraße 56) zu sehen und zu kaufen.