Die Superfreaks von „Stranger Things“ in der Spielhalle (von links): Will (Noah Schnapp), Mike (Finn Wolfhard), Dustin (Gaten Matarazzo) und Lucas (Caleb McLaughlin) Foto: Netflix

Jetzt noch kultiger: Es ist wieder Halloween in Hawkins, Indiana, die vier liebenswerten Nerds aus der Netflix-Serie „Stranger Things“ sind zurück – und mit ihnen der kurios-grandiose Mix aus Filmzitatesammlung, 80er-Jahre-Hommage und Gruselstunde.

Stuttgart - Es ist nicht leicht, ein Nerd zu sein. Besonders nicht an Halloween im Jahr 1984 an der Hawkins Middle School. Noch vor dem ersten Schulgong müssen die vier Jungs, die sich als Ghostbusters verkleidet haben, zwei peinliche Fehler erkennen. Der eine ist, dass es in ihrem Gespensterjäger-Team zwei Venkmans, aber keinen Winston gibt. Der andere, dass sie die einzigen sind, die an diesem Tag in Kostümen zur Schule gekommen sind.

Schon die erste Staffel der Netflix-Produktion „Stranger Things“ war eine Serie von Nerds über Nerds für Nerds. Und weil immer mehr Menschen zu dieser absonderlichen Spezies gehören, wie der Erfolg von „The Big Bang Theory“, „Mr. Robot“ oder „Silicon Valley“ vermuten lässt, wurde „Stranger Things“ im Jahr 2016 ein Hit. Seit diesem Freitag ist nun die komplette zweite Staffel der Serie der Brüder Matt und Ross Duffer auf Netflix verfügbar. Diese erweist sich erneut als eine virtuos erzählte Achtziger-Jahre-Hommage, die jetzt noch ein bisschen waghalsiger Science-Fiction, Horror und Mystery durcheinander wirbelt.

Im Kino läuft „Terminator“, im Radio Duran Duran

Die Duffers wollen einem anfangs allerdings weismachen, dass uncoole Kostümierungen und die Tatsache, dass man bei ersten Flirtversuchen das Wort „anmaßend“ für ein Kompliment hält, die größten Probleme seien, die Will (Noah Schnapp), Mike (Finn Wolfhard), Dustin (Gaten Matarazzo) und Lucas (Caleb McLaughlin) haben werden. Die Serie schwelgt zunächst vergnügt und unverschämt in 1980er-Nostalgie, folgt den Jungs in die Spielhalle, wo ihr Kleingeld bei den Versuchen draufgeht, in „Dragon’s Lair“ das magische Schwert zu ergattern, den Drachen Singe zu besiegen und die Prinzessin Daphne zu befreien – nur um dann feststellen zu müssen, dass Max (Sadie Sink), die neu in der Stadt ist, all ihre Highscores überboten hat. Im Kino ist gerade „Terminator“ zu sehen, im Radio dudeln Songs von Devo, Duran Duran oder den Scorpions rauf und runter, Polizist Jim (David Harbour) erklärt Bo Derek zu seiner Traumfrau, Ghostbusters-Kostüme sind so weit verbreitet wie Farah-Fawcett-Fönwellen, Ronald Reagan wird in ein paar Tagen als US-Präsident wiedergewählt werden, der Kalte Krieg ist still und heimlich bis nach Hawkins, Indiana, vorgedrungen, und die verschwundene Eleven (Millie Bobby Brown) wird prompt verdächtigt, russische Spionin zu sein.

In der ersten „Stranger Things“-Staffel hatte Eleven, die über psychokinetische Fähigkeiten verfügt und aus einem Geheimlabor der CIA geflohen war, Will aus der fürchterlichen Parallelwelt befreit, die unter der Oberfläche von Hawkins lauert und die eine düstere Reflexion der Wirklichkeit darstellt. Dabei besiegte Eleven zwar das von den Nerds auf den Namen Demorgon getaufte Monster, verschwand mit ihm aber in einer anderen Dimension.

Wer ist besser: David Bowie oder Kenny Rogers?

Die Duffers lassen die zweite „Stranger Things“-Staffel nun ein Jahr nach dem Ende der ersten beginnen. In den Zeitungen wird Will als „der Junge, der zurück kam“ bezeichnet, gehässige Schulkameraden nennen ihn dagegen Zombie-Boy. Trost gibt es nur von seinem Bruder Jonathan (Charlie Heaton), der ihm klar macht, dass es besser ist, als Freak wahrgenommen zu werden denn normal zu sein: „Mal ehrlich, mit wem wärst du lieber befreundet: mit David Bowie oder mit Kenny Rogers?“

Natürlich ist die Welt in Hawkins auch im Jahr 1984 nicht wirklich in Ordnung. Überall tun sich allmählich Risse auf. Durch eine dieser kleinen Öffnungen kann zwar die verstörte Eleven zurückkehren, doch auch ein neues spinnenartiges Schattenmonster liegt in der Parallelwelt dahinter auf der Lauer. Während sich Will immer wieder zwischen den beiden Welten verirrt, verfaulen rund um Hawkins pünktlich zu Halloween alle Kürbisse, ein ekliger Gestank macht sich in der Kleinstadt breit, und in der Nachbarschaft plant wieder einmal irgendeine staatliche Geheimorganisation verbotene Experimente.

„Stranger Things“ kehrt mit einem Knall zurück. Und das gilt nicht nur für die Eröffnungssequenz der ersten Episode, in der die Duffer-Brüder ein perfides Spiel mit Publikumserwartungen treiben und die Handlung nach Pittsburgh, Pennsylvania verlegen, die Genres wechseln und so tun, als ob der Kleinstadt-Horror nun einem Großstadt-Thriller weichen müsste. Auch sonst erweist sich die Fortsetzung als ein atemberaubender erzählerischer Kraftakt, der Horror, Mystery und Science-Fiction mit Coming-of-Age-Drama und Highschool-Komödie verbindet.

Jede Szene ist ein Zitat

Die Duffers verknüpfen ihre vielen Geschichten noch ein bisschen raffinierter miteinander als in der ersten Staffel. Ihre Dialoge sind so rasant und pfiffig, als ob Joss Whedon und Quentin Tarantino gemeinsame Sache gemacht hätten. Mustergültig spielen sie in ihrer immer wieder auch selbstreferenziellen Inszenierung mit all den Suspense- und Surprise-Tricks, die das Genre-Schatzkästchen parat hält – von tropfenden Wasserhähnen und tickenden Uhren über auffliegende Krähen und sich durch den Nebel windende Scheinwerfer bis hin zu mysteriös klingelnden Telefonen und zu Kameras, die sich in Zeitlupe von hinten an die Protagonisten heranschleichen.

Erneut gerät „Stranger Things“ zu einer filmischen Entdeckungsreise, in der man in jeder Einstellung, jeder Szene, jedem Dialog, jedem Ausstattungsstück und jedem Soundtrackfetzen eine Anspielung auf irgendeinen Klassiker aus den 1980er Jahren finden kann – auf Steven Spielbergs Blockbuster „E. T.“ zum Beispiel oder auf die Stephen-King-Kinoverfilmungen „Stand by me“ und „Der Feuerteufel“.

Anspielung auf „Die Goonies“

Mal schimmert die Albtraum-Dramaturgie von „Nightmare on Elm Street“ durch die Serie, mal die beklemmende TV-Geräte-Flimmer-Ästhetik von „Poltergeist“. Der Einfluss von John Carpenter („Halloween“) reicht bis in den minimalistischen Synthesizer-Soundtrack von „Stranger Things“. Und dass der neue Freund von Wills Mutter Joyce (Winona Ryder) von Sean Aston gespielt wird, hat ganz bestimmt damit zu tun, dass Aston einst Mikey in „Die Goonies“ gespielt hat. Manchmal ist es wunderbar leicht, ein Nerd zu sein.

Seit 27. November bei Netflix verfügbar