Am Eingang zum Loveparade-Gelände brach die Massenpanik aus Foto: dpa

Die Loveparade-Katastrophe von Duisburg ist auch eine juristische Katastrophe. 21 Menschen sind damals bei einer Massenpanik ums Leben gekommen. Erst jetzt beginnt der Strafprozess. Doch wenn es nicht zügig vorangeht, droht die Verjährung.

Stuttgart - Alle saßen sie zusammen, kurz vor der Katastrophe. Vertreter der Stadt Duisburg, Mitarbeiter von ganz unterschiedlichen Abteilungen. Das Ordnungsamt war da, das Baurechtsamt, auch die Feuerwehr und natürlich Vertreter des Loveparade-Veranstalters, der Firma Lopavent. Es ging um ein Brandschutzkonzept und darum, wie Menschen bei einer Panik in Sicherheit gebracht werden können. „Entfluchtung“ heißt das im Behördendeutsch. Das Protokoll der Sitzung spricht von einer „engagierten Diskussion“. Zuvor hatte es schon Hinweise gegeben, dass die Fluchtwege zu schmal sind. Eine Woche später, am 24. Juli 2010, sterben 21 Menschen, über 650 werden verletzt. Und erst mehr als sieben Jahre später, an diesem Freitag, beginnt der Strafprozess.

Die Katastrophe von Duisburg ist eine Katastrophe auf mehreren Ebenen. Eine davon ist die juristische Aufarbeitung. Die Staatsanwaltschaft Duisburg hatte direkt nach dem Unglück Ermittlungen gegen unbekannt aufgenommen und im Februar 2014 schließlich Anklage erhoben. Diese wurde zwei Jahre lang vom Duisburger Landgericht geprüft – und am Ende abgelehnt. Das Gericht ging davon aus, dass aufgrund mangelnder Beweise eine Verurteilung der Angeklagten nicht zu erwarten sei. „Die Wucht dieser Entscheidung bei den Betroffenen war gewaltig“, sagt der Pfarrer Jürgen Widera, Ombudsmann der Stadt, der Ansprechpartner für die Opfer der Loveparade ist: „Viele, von denen ich dachte, sie seien über den Berg, mussten wieder in Therapie.“ Staatsanwaltschaft und Opferanwälte legten Beschwerde gegen die Entscheidung ein, das Oberlandesgericht Düsseldorf gab ihnen recht. Nun muss eine andere Kammer des Duisburger Landgerichts verhandeln. „Das wird eine große Herausforderung“, sagt Bärbel Schönhof. Die Anwältin vertritt mehrere Nebenkläger, und kennt natürlich die zahlreichen juristischen Fallstricke. Der wohl gefährlichste ist der Zeitfaktor. Liegt bis zum 27. Juli 2020 kein erstinstanzliches Urteil vor, verjähren die Taten. Schon jetzt sind bis Ende 2018 mehr als 100 Verhandlungstage terminiert. Die Hauptakte besteht aus 55 000 Blatt, dazu kommen rund 1000 Ordner mit Anlagen. Die Zeit kann da knapp werden.

Im Prozess werden die Emotionen aufbrechen

„Es könnte ein Problem werden, die Emotionen im Prozess unter Kontrolle zu behalten“, sagt Bärbel Schönhof. Sie kennt die Sorgen und Nöte zahlreicher Opfer, hat viele von ihnen bereits bei Zivilklagen vertreten. Die meisten hängen noch im Gestrüpp der Instanzen. „Der stete Kampf im Alltag ist wie eine Wunde, die immer wieder aufreißt“, beschreibt Schönhof das Gefühl der Betroffenen. Insgesamt sind es um die 60, die sich entschlossen haben, bei dem Prozess als Nebenkläger aufzutreten. „Die genaue Zahl ändert sich nahezu täglich, mal kommen welche dazu, andere springen ab“, sagt Matthias Breidenstein, der Sprecher des Duisburger Landgerichts.

Der Ex-Oberbürgermeister sitzt nicht auf der Anklagebank

So unterschiedlich die Schicksale der Nebenkläger auch sind, ob sie nun ihre Kinder oder Enkel verloren haben, ob sie körperlich oder psychisch an den Folgen des Unglücks zu tragen haben: Es eint sie die Frage, ob es die richtigen Leute sind, die im provisorischen Gerichtssaal auf dem Messegelände auf der Anklagebank sitzen werden. Verantworten müssen sich vier Mitarbeiter der Veranstalterfirma und sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg. Der inzwischen pensionierte Baubürgermeister und eine Abteilungsleiterin aus dem Baurechtsamt sind diejenigen, die in der Rathaushierarchie am höchsten stehen beziehungsweise standen. „ Es sind Menschen, die ihren Stempel unter ein Papier gesetzt haben“, sagt die Anwältin Schönhof.

Nicht angeklagt sind der Ex-Oberbürgermeister Adolf Sauerland, nicht der Chef der Veranstalterfirma, Rainer Schaller, niemand aus den Reihen der Polizei und auch nicht die Rathausmitarbeiter, die nach Ansicht nicht weniger die treibenden Kräfte dabei waren, viele Augen zuzudrücken, als es um die Sicherheit ging. Der Chef des Duisburger Ordnungsamts stelle „in diesem Zusammenhang fest, dass der OB die Veranstaltung wünsche, und dass eine Lösung für das Problem gefunden werden müsse“, heißt es in den Protokollen. Für strafrechtlich relevant hält die Anklagebehörde das aber nicht.

Zwei Hauptpunkte sollen die fahrlässige Tötung belegen

Im Kern wirft die Staatsanwaltschaft den Angeklagten zwei Punkte vor: Die Rampe, die zum Festivalgelände führte, war durch Zäune verengt. Sie sollte eigentlich 18,28 Meter breit sein, tatsächlich blieben am Tag der Katastrophe an manchen Stellen weniger als elf Meter. Vor der Rampe galt es einen 400 Meter langen Tunnel zu durchqueren, auch der war viel zu schmal weil – Hauptvorwurf Nummer zwei – das Veranstaltungskonzept schöngerechnet gewesen sei. So viele Menschen hätten nie durch den Tunnel und über die schmale Rampe geschleust werden dürfen. Der Genehmigung zufolge hätten sich höchstens 250 000 Besucher auf dem Gelände aufhalten dürfen. Die Veranstalter erwarteten nahezu die doppelte Anzahl an Besuchern.

Wie aussagekräftig sind die Beweismittel?

Keith Still, britischer Sicherheitsexperte für Großveranstaltungen, hat das in seinem Gutachten so ausgeführt – damals das zentrale Beweisstück der Staatsanwaltschaft. Die 5. Kammer des Duisburger Landgerichts aber hatte in dem Papier gravierende Mängel erkannt und die Prozesseröffnung abgelehnt. Anders das Oberlandesgericht Düsseldorf: „Nach Auffassung des Senates sind die den Angeklagten vorgeworfenen Taten mit den in der Anklage aufgeführten Beweismitteln mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachweisbar“, so OLG-Präsidentin Anne-José Paulsen: „Dass die den Angeklagten vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen ursächlich für die Todes- und Verletzungsfolgen waren, dränge sich nach dem Ermittlungsergebnis auf.“ Nun verhandelt die 6. Kammer des Duisburger Landgerichts. Und inzwischen hat die Staatsanwaltschaft nachgelegt. Ein neues Gutachten kritisiert ebenfalls die Planungen auf dem Gelände. Das sind noch einmal 2000 Seiten Akten.