Ein letztes bewusstes Thanksgiving im Kreis der Familie: Julianne Moore (Mitte) als Linguistik-Professorin und Alzheimer-Patientin in „Still Alice“ - mehr Eindrücke aus dem Film in unserer Bildergalerie! Foto: Verleih

Kaum zu ertragen, denn großartig gespielt: Julianne Moore in ihrer Oscar-prämierten Rolle als Alzheimer-kranke Professorin. Halt gibt Alice bis zuletzt ihre Familie, die angesichts zu erwartender Konflikte etwas zu harmonisch gezeichnet ist.

Filmkritik und Trailer zum Kinofilm "Still Alice – Mein Leben ohne gestern"

Es beginnt ganz langsam. Als der 50-jährigen Linguistik-Professorin Alice Howland immer wieder banale Worte nicht einfallen, auch bei Vorträgen an der Uni, ignoriert sie das zunächst – passiert doch jedem mal. Beunruhigt ist sie erst, als sie beim Joggen die Orientierung verliert, auf einer Strecke, die sie fast täglich läuft.

Sie sucht einen Neurologen auf, der ihr nach mehreren Tests die schockierende Diagnose verkündet: Alice leidet an einem seltenen Fall von frühem Alzheimer. Als wäre das nicht schon belastend genug, handelt es sich ihr auch noch um eine vererbbare Form – ihre drei erwachsenen Kinder könnten alle betroffen sein.

» Trailer zum Kinofilm "Still Alice"

Julianne Moore erhielt vor knapp zwei Wochen für ihre Titelrolle einen Oscar, genau wie Eddie Redmayne als ALS-kranker Stephan Hawking in „Die Entdeckung der Unendlichkeit“. Dustin Hoffmann in „Rain Man“ (Autismus), Tom Hanks in „Philadelphia“(AIDS), Jeff Bridges in „Crazy Heart“(Alkoholismus) – wer einen schwer kranken oder behinderten Menschen spielt, steigert seine Oscar-Chancen. Bei manchen Akteuren Kalkül zu unterstellen, dürfte nicht ganz aus der Luft gegriffen sein.

Ihr Oscar ist ohne Einschränkungen verdient

Julianne Moore freilich galt vorher schon als großartige Charakterdarstellerin, und ihr Oscar ist ohne Einschränkungen verdient. Denn wie sie die verschiedenen Phasen der Krankheit spielt, von der leichten Unsicherheit, die sich schrittweise zur Panik steigert, bis hin zum Wechselspiel aus aggressivem Trotz und Resignation, das wirkt so echt, so erschütternd lebensnah, dass es oft kaum zu ertragen ist.

Alice will dennoch so lange wie möglich die Kontrolle behalten, legt auf ihrem Computer einen Ordner mit Anweisungen für den Tag ab, an dem sie ihren Zustand nicht mehr aushält – doch auch dem macht der Gedächtnisverlust letztlich einen Strich durch die Rechnung. Weil sie sich vor allem über ihren Intellekt, ihre sprachliche Ausdrucksfähigkeit definierte, wirkt ihre Verzweiflung über das Zurückgeworfensein auf ein kindliches Niveau der Betreuungsbedürftigkeit noch stärker.

„Ich wünschte, ich hätte Krebs“, ruft Alice einmal, denn dann müsste sie sich nicht so schämen. Schonungslos lässt Moore den Zuschauer miterleben, wie mit der Erinnerung zunehmend auch die eigene Identität wegbröckelt, wie als Spiegel dieses Sich-Verlierens Alices Gesichtsausdruck immer maskenhafter wird.

Ehemann von der Betreuung überfordert

Halt gibt Alice bis zuletzt ihre Familie, die angesichts zu erwartender Konflikte etwas zu harmonisch gezeichnet ist. Alec Baldwin, vielleicht in seiner sanftesten Rolle bislang, zeigt als Ehemann bewundernswerte Rücksicht und Loyalität, muss sich dann aber eingestehen, von der Betreuung überfordert zu sein. Die übernimmt die jüngste Tochter Lydia, lange eher das Problemkind, das in die Familie zurückfindet. Kristen Stewart („Die Wolken von Sils Maria“) zeigt einmal mehr ein erstaunlich reifes Spiel.

Rührselig wirken aber auch diese Teile der Handlung nicht. Ein Hauch Kitsch schleicht sich allenfalls in einer Szene ein, bei der Alice eine Rede vor einer Alzheimer-Gesellschaft hält – ein auf die Tränendrüsen drückender Erbauungsmoment, wie ihn Hollywood gerne an Filmenden stellt. Doch hier wird das Pathos gleich wieder ausgeknipst: Es geht weiter und wird mit jedem Tag schlimmer, deprimierender.

Dieser Film geht so nahe, dass es oft schmerzt – zweimal wird man ihn sich kaum anschauen.

Unsere Bewertung zu Still Alice: 4 von 5 Sternen - empfehlenswert!

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