Voraussichtlich an diesem Mittwoch soll der Straßenbelag am Neckartor ausgetauscht sein. Dann könnte die Baustelle wieder abgebaut werden. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Eine neue Oberfläche mit Titandioxid soll die Konzentration des Luftschadstoffs deutlich vermindern helfen. Noch ist offen, ob das in der Praxis im erwünschten Maß funktioniert.

Stuttgart - Vertreter von Stadt und Land haben am Montag auf der Straßenbaustelle entlang der Schadstoff-Messstelle Am Neckartor zwei gute Nachrichten verkündet. Die erste: Die rund um die Uhr andauernden Bauarbeiten sollen bereits am Mittwoch abgeschlossen sein. „Wir werden einen Tag früher fertig als geplant“, sagt Wolfgang Schanz, Leiter des städtischen Tiefbauamts. Die guten Wetterbedingungen spielen den Bauarbeitern in die Hände, Abfräsen des alten und Aufbringen des neuen Belags gehen routiniert voran.

Die zweite gute Nachricht trugen die Beteiligten in unterschiedlicher Intensität vor. Auf den neuen, noch heißen Straßenbelag werden feine Körnchen hochfesten Betons aufgestreut und eingewalzt. Der Beton ist mit Titandioxid versetzt.

Sofortiger Effekt erwartet

In Verbindung mit Sonnenlicht kann der Stoff, der sich als Pigment in Farben findet, das aus Autoabgasen stammende Stickstoffdioxid zu wasserlöslichem Nitrat umwandeln, Regen spült dieses ab. Peter Hübner, Vorstand des Baukonzerns Strabag AG, verspricht sich durch den ersten großflächigen Einsatz eine Ad-hoc-Wirkung an der Stickstoffdioxid-Messstelle. „Der Effekt muss sofort eintreten, das erwarte ich“, sagte Hübner, und sprach von einem Minderungspotenzial von bis zu 26 Prozent. Der Wert hatte sich auf einer 50 Meter langen Prüffläche unter optimalen Bedingungen ergeben. Die mittlere Abbaurate lag mit 14 Prozent allerdings deutlich darunter – und nicht immer wird am Neckartor die Sonne scheinen.

Nähme man den jüngsten Jahresmittelwert von 69 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft am Neckartor zum Maßstab, könnte dieser damit um etwa 10 bis maximal 18 Mikrogramm gesenkt werden. Im Idealfall läge er ganz nahe an dem neuen Verhältnismäßigkeitswert von 50 Mikrogramm, von dem ab ein Fahrverbot vom Bund als nicht mehr geboten betrachtet wird. Der EU-Grenzwert liegt weiterhin bei 40 Mikrogramm.

Was bringt die Praxis?

Andreas Hollatz, Leiter der Abteilung Straßenverkehr und -infrastruktur im Verkehrsministerium, formulierte die Erwartungen vorsichtiger. Man erhoffe sich schnelle Erfolge von dem „innovativen Projekt“. Wie groß der Beitrag zur Schadstoffreduzierung sei, werde man hier und bei einem Pilotprojekt in Stockach untersuchen. In Stuttgart kann die Wirkung jedenfalls unmittelbar festgestellt werden. Die Messeinrichtungen am Neckartor waren zwar bei einem Brandanschlag am 6. April schwer beschädigt worden, sie sollen aber bald wieder tagesaktuelle Daten liefern.

Die Bundesanstalt für Straßenwesen (Bast) hat bis Ende 2018 vor allem die Verarbeitung, die Haltbarkeit und den Verschleiß eines mit Titandioxid versetzten Straßenbelags untersucht. Ein langfristiger Stickstoffdioxid-Abbau sei erzielbar, so die Bundesanstalt. Sie untersuchte auch die Wirkung eine Titandioxid-Belags auf einer Lärmschutzwand an der A 1 bei Osnabrück. Dort zeigte sich, dass „die im Laborversuch erzielten, sehr hohen Minderungen der Schadstoffe nicht zwangsläufig in die Praxis übertragbar sind“. Zuverlässige Minderungen seien in geringem Maß möglich.

Abrieb soll kein Thema sein

Erhöhte Feinstaubwerte durch stärkeren Abrieb des neuen Belags seien nicht zu erwarten, verspricht Hübner. Man forsche seit 2015. „Es wird zu keinem Verschleiß kommen, die Deckschicht hält über zehn Jahre“, sagte der Strabag-Vorstand. Er lobte die Bereitschaft des Landes für den neuen Belag. Es sei nicht einfach, das neue Produkt „im Markt unterzubringen“.

Für die Stadt ist das Thema Titandioxid nicht ganz neu. Am Kronprinzplatz wurden Platten mit entsprechender Beschichtung verlegt. Da es keine Messungen gab, kann Wolfgang Schanz die Wirkung nicht nachweisen. Die Gesamtkosten für den neuen Straßenbelag auf 6500 Quadratmeter am Neckartor betragen rund 700 000 Euro, wovon das Land bis zu 200 000 Euro trägt. Die Mehrkosten für die Hightech-Oberfläche liegen zwischen 30 000 und 40 000 Euro. Eine größere Fläche sei nicht machbar, so Schanz, schließlich habe man die Fahrspuren Richtung Cannstatt jüngst mit der Busspur erneuert, und die stadteinwärts sollen noch fünf bis sechs Jahren halten. Dann wird der Abwasserkanal darunter erneuert.