Peter Schmidt begleitet Menschen auf ihrem letzten Weg. Foto: Sabrina Höbel

Peter Schmidt arbeitet als Sterbebegleiter beim ambulanten humanistischen Hospizdienst der Awo. Im Interview spricht er über zahlreiche Herausforderungen und berührende Momente.

Möhringen - Peter Schmidt begleitet Menschen in ihren letzten Tagen. Der Möhringer, den man sonst als Autor und Künstler kennt, ist seit acht Jahren als Sterbebegleiter beim ambulanten humanistischen Hospizdienst der Awo im Einsatz.

Herr Schmidt, haben Sie Angst vor dem Tod?
Nein, habe ich eigentlich nicht. Vor dem Tod selber habe ich keine Angst, vielleicht vor dem Sterben, weil ich sehe, dass es nicht immer wirklich einfach ist, zu sterben. Aber vor dem Tod selber habe ich keine Angst. Warum auch?
Sie haben Ihre Arbeit als Sterbebegleiter mit 59 Jahren begonnen. Was hat Sie dazu bewegt?
Ich habe mit 59 freiwillig aufgehört zu arbeiten. Ich habe mir aber einen genauen Plan im Kopf gemacht, was ich denn machen möchte mit meiner dann gewonnenen Zeit. Es war mein Plan, zu einem Drittel für die Kunst da zu sein, zu einem Drittel möchte ich gerne reisen oder sonst einfach Freizeit haben, und das restliche Drittel möchte ich mich gerne sozial einbringen in diese Gesellschaft, von der ich viel profitiert habe.
Sich ständig mit sterbenden Menschen zu umgeben, mag für den ein oder anderen sehr belastend klingen.
Das würde ich nicht abstreiten. Es ist – denke ich – auch nichts für jeden. Das begegnet einem ganz oft, wenn man darauf angesprochen wird: „Was, das machst du? Boah, das könnte ich ja nie!“ Dann sag ich auch immer: „Wenn du sagst, du könntest es nie, ist es gut so, dass du es nicht machst. Für dich und für alle anderen.“
Wie oft sind Sie im Einsatz?
Das ist total unterschiedlich. Es kann sein, dass man dreimal in der Woche unterwegs ist und es kann sein, dass mal zwei Monate überhaupt keine Anfragen kommen. Dann gibt es manchmal auch ganz kurze Einsätze. Das ist mir vor einiger Zeit passiert. Da bin ich mittags zu einer alten Dame gerufen worden. Dann war ich die ganze Zeit bei ihr, drei oder vier Stunden. Und dann ist sie praktisch an meiner Hand gestorben.
Was ist das für ein Gefühl?
Das ist fast schon ein erhabenes Gefühl. Ich stelle mir das ähnlich vor, wie wenn man bei einer Geburt dabei ist, was ich nie war. Es ist wirklich ein ergreifender Moment. Wenn jemand friedlich sterben kann, ist es eigentlich eine schöne Sache, finde ich.
Wie viele Menschen sind schon in ihrer Obhut gestorben?
Hm. In diesen acht Jahren ... puh. 40, 50 bestimmt.
Stumpft man da mit der Zeit ab?
Ich würde es nicht so hart ausdrücken, aber es entwickeln sich natürlich gewisse Routinen. Es ist trotzdem jedes Mal spannend und überraschend, wenn man gerufen wird. Es wird ganz viel Flexibilität von einem verlangt, und dabei sollte man auf keinen Fall abstumpfen. Wenn wir gerufen werden, sind viele Sterbende oft schon so komatös, dass eine verbale Kommunikation nicht mehr möglich ist.
Wie kommuniziert man dann?
Sehr oft ist es Körperkontakt, wobei man da vorsichtig sein muss. Nicht jedem ist das angenehm, berührt zu werden. Ich habe auch sehr oft meinen kleinen iPod dabei und ein Lautsprecherchen. Es gibt viele Menschen, die reagieren positiv auf Musik. Der Hörsinn ist ja der letzte, der den Menschen verlässt. Deswegen kann man über Musik Menschen immer noch ziemlich gut erreichen.
Erinnern Sie sich noch an die erste Person, die Sie betreut haben?
Sehr gut, die besuche ich öfters auf dem Möhringer Friedhof. Die Frau war geistig ganz klar, und man konnte viel mit ihr reden. Sie hatte zwei Töchter, die eine wohnt in Kanada, die andere in den USA. Mit denen habe ich bis heute Kontakt. Vorgestern habe ich mit der einen geskypt.
Lehnen manche Sterbende Sie als Begleiter auch ab?
Es gibt Menschen, die wollen nicht begleitet werden. Das drängen wir ja auch niemandem auf. Umgekehrt habe ich aber auch schon erlebt, dass mir ein Mensch, zu dem ich kam, unangenehm war.
Weshalb?
Einmal kam ich zu einem Bär von einem Mann. Ein richtiger Rummelboxertyp. Der hat mich mit Ausdrücken beworfen. Da musste ich zwei-, dreimal wirklich aufpassen, dass ich nicht einen linken Haken abkriege. Die Sache hat sich dadurch erledigt, dass der überraschend schnell gestorben ist. Ich habe ihn noch mal besucht, als er schon tot war, da haben wir dann unseren Frieden gemacht (lacht).
Welches Erlebnis hat Sie in ihrer Arbeit am meisten beeindruckt?
Vielleicht die Begleitung einer alten Dame aus Schottland. Die sprach eigentlich nur Englisch und das war eine ganz liebe Person. Eines Abends war ich mal bei ihr, dann hat sie gesagt: „Oh Peter, I love your eyes. I never forget your eyes“. (lacht) Das ist so ein Moment, an den ich mich gerne erinnere.
Inwiefern hat die Arbeit Sie selbst verändert?
Es hat mich natürlich zwangsläufig für das Thema noch mehr sensibilisiert. Da das leider in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabuthema ist, bin ich auch für manche aus dem Bekanntenkreis in dieser Sache Gesprächspartner geworden. Man muss ab und zu aufpassen, dass man nicht zu stark in diesem Thema verhaftet ist. Das Leben ist schön und besteht nicht nur aus Tod und Sterben. Ich würde sagen, das Sterben hilft mir auch beim Leben.