Die beiden wegen Kindsmissbrauchs Angeklagten, Christian L. (helle Weste) und die Mutter des neunjährigen Opfers (ganz rechts), in einem Saal des Landgerichts. Foto: dpa

Er ist eloquent, sie ist geistig zurückgeblieben: Der Gutachter im Staufener Missbrauchsprozess hält die beiden Angeklagten für eine problematische Mischung.

Freiburg - Die Frau scheint schwer verliebt zu sein. „Ich hab’ dich lieb, so wie du bist, mit allen deinen Fehlern“, tippt sie in eine Whatsapp-Nachricht. Welche Fehler ihr neuer Lebensgefährte hat, weiß sie zu diesem Zeitpunkt schon. Er habe vier Jahre im Gefängnis gesessen und werde als „Kinderficker“ hingestellt, schreibt er ihr kurz davor. Mit romantischem Geplänkel hält er sich nicht lange auf. Kinder seien lernfähig, würden keinen Schaden nehmen, und er müsse seine „Neigung ausleben“, erklärt er in einer Nachricht. „Ich weiß nur, dass ich dich echt lieb hab“, schreibt sie, und er erhöht den Druck. „Du suchst mir Kleinen oder Kleine, ernsthaft jetzt!“, befiehlt er. „Das Problem ist, dass es bald sein muss, sonst baue ich Mist.“

Der Chat dokumentiert die sexualbezogene Kommunikation

Der Chat aus der Anfangszeit der Beziehung von Christian L. und Michaela Berrin T., den beiden Hauptangeklagten im Staufener Missbrauchsfall, ist auch für den vom Landgericht bestellten psychiatrischen Gutachter, Professor Hartmut Pleines, ein zentrales Dokument. Es zeige, wie „intensiv und lustvoll“ die sexualbezogene Kommunikation bei dem 39-Jährigen ablaufe. Mehrere Tage lang schicken die beiden Nachrichten hin und her und bereiten den Missbrauch vor. Die 48-jährige Frau organisiert die dreijährige Tochter einer Freundin. „Ich hoffe, du weißt, warum ich das mache“, schreibt sie. „Jeden anderen würde ich zum Teufel jagen.“ Während er minutiös schildert, was er seinem Opfer antun möchte, stellt sie nur zwei Bedingungen: „Ich muss es nicht sehen und meiner ist tabu.“ Doch wie man heute weiß, bleibt es nicht dabei. Als der Missbrauch an dem dreijährigen Mädchen aufzufliegen droht, muss doch der heute zehnjährige Sohn der Frau herhalten. Zwei Jahre lang wird er von Christian L. missbraucht. Die Sexualstruktur des Angeklagten sei durch eine klare pädophile Präferenz geprägt. Hinzu kämen sadistische Nebenströmungen, urteilt der Gutachter. Wenn die Männer, denen der Bub gegen Geld für Vergewaltigungen überlassen wurde, eine härtere Gangart fuhren, habe auch Christian L. daraus zusätzliche Erregung gezogen.

Bei Michaela Berrin T. sieht er den Fall etwas anders. In ihrer Biografie gebe es keine Anhaltspunkte auf ein besonderes pädophiles Interesse. Doch um die Beziehung zu Christian L. zu erhalten, sei sie bereit gewesen, sich selbst zu kompromittieren, ein fremdes Kind und ein eigenes Kind zu opfern. Es handle sich um eine „hoch asymmetrische Beziehung“, sagte Pleines.

Dem Angeklagten attestiert der Gutachter „manipulative Züge“

Während Christian L. ein kontaktfreudiger, eloquenter Mann , ein „gewinnender Gesprächspartner mit fast manipulativen Zügen“ sei, erscheine Michaela Berrin T. egozentrisch und antriebsschwach. Bei einer Untersuchung am Heidelberger Klinikum attestierte man ihr einen Intelligenzquotienten nur knapp über dem, was man früher debil nannte. Andererseits sei sie durchaus in der Lage gewesen, ihr Dasein zu bewältigen. Zwar lebte sie seit 1995 von staatlichen Transferleistungen, jedoch habe sie gewusst, das System für sich zu nutzen. Dass sie es verstand, für ihre Interessen einzutreten, habe sie ja auch gegenüber den Familiengerichten und dem Jugendamt unter Beweis gestellt.

Was beide Angeklagte eine, sei ihre schwierige Kindheit. Berrin T. wurde mit drei Jahren Vollwaise. Die Mutter litt an Epilepsie, was wohl zu Sauerstoffmangel beim Fötus führte. Die Großmutter starb, als die Angeklagte elf Jahre alt war. Christian L. wurde durch eine Vergewaltigung gezeugt, lebte in SOS-Kinderdörfern und litt später unter einem alkoholkranken Stiefvater. Die Prognosen für die beiden Angeklagten fallen nach Ansicht des Gutachters verschieden aus. Während er Christian L. eine hohe Rückfallgefahr attestierte, verneinte er dies bei der Frau. Sie sei in einer Konstellation straffällig geworden, deren Wiederholung unwahrscheinlich sei.