Tony (Ricky Gervais, rechts) stiert zwar mürrisch, kümmert sich aber rührend um seinen Vater (David Bradley). Foto: Netflix/Ray Burmiston

„After Life“, von und mit Ricky Gervais, ist eine der besten Comedy-Serien auf Netflix. Die zweite Staffel ist fast noch besser als die erste: warmherzig und gallig, lebensnah und abgedreht.

Stuttgart - Was sind das bloß für Leute? Die alte Dame, die fest davon überzeugt ist, ihre Katze verstehe jedes Wort, das sie zu ihr sage, und antworte mit gemaunzten ganzen Sätzen, ist da noch verhältnismäßig normal. Der ziemlich beleibte Familienvater, der im Kinderkleidchen auf der Couch thront, ist schon eher jener Normalfall wunderlicher Mitmenschen, über die der Kleinstadtjournalist Tony (Rick Gervais) regelmäßig freundliche Porträts schreiben soll. Er fühle sich als achtjähriges Mädchen, verkündet der Mann, also sei er auch ein achtjähriges Mädchen. „Du hast bloß einen Nervenzusammenbruch“, herrscht seine Ehefrau ihn an.

Tony, der nach dem Tod seiner Frau schwer angeschlagen ist, kennen wir schon aus der ersten Staffel von „After Life“. So wie den Umstand, dass sich hinter den spießigen Gardinen des Kaffs Tambury schrillste Spleens verbergen. Die zweite Staffel der Netflix-Serie steigert das Bemackte und Verschrobene der Leute noch ein bisschen.

Stacheldraht und Mitgefühl

Manche Figur könnte auch aus der tiefschlagfreudig schrillen Satireshow „Little Britain“ stammen. Selbst Tonys Kollegen sind eine seltsame Truppe, so angeschlagen wie Geschirrreste, die schon ein über ein paar Flohmärkte gezerrt, aber nie verkauft wurden. Aber so böse die Bestandsaufnahme der ganz und gar nicht glücklichen Leben manchmal scheint, „After Life“ ist keine fiese Serie, sondern eine mitfühlende. Eine, die ihr Herz nur deshalb mit Stacheldraht umgibt, damit nicht falsche Kitschseligkeit entsteht.

Ricky Gervais hat die sechs neuen Folgen wieder selbst geschrieben. Sein Tony, nicht der einzige Trauerkloß hier, steckt tiefer im Schlamassel als je. Er ist immer noch bissig, misslaunig, zynisch und pfeift oft auf Smalltalk-Konventionen. Aber er hat auch heitere Momente, wendet sich anderen zu, streckt hie und da nach jemandem die Hand aus. Allerdings, bekennt Tony nach einer Weile, das sei alles bloß Täuschung. Er erinnere sich jetzt besser, wie das normale Leben gewesen sei, stelle es besser nach. Aber er sei immer noch maßlos unglücklich. Tony weint los, als er sich so auf dem Friedhof einer anderen Grabbesucherin offenbart. Vielleicht gilt also weiterhin die Statusbeschreibung, mit der Staffel eins begann: Tony bringt sich nur deshalb nicht um, weil seine Hündin, die er liebt, sich nicht selbst versorgen kann.

Knorrig und unwiderstehlich

Aber halt: Führt Tony sich selbst und uns vielleicht hinters Licht? Redet er klein, wie viele Verknüpfungen und Verantwortungen es in seinem Leben gibt? Hat er Angst, angesichts einer klaren Auflistung zu erstarren und zu versagen?

Jedenfalls besucht er noch immer täglich seinen dementen Vater im Altenheim. Er, der Zyniker und Brummbär, ist der einzige Angehörige eines Heimbewohners, der so oft vorbeischaut. David Bradley spielt diesen Vater, der kaum Dialoge hat, der meistens nur vor sich hinstarrt, kauzhaft knorrig, unwiderstehlich ulkig und doch sehr würdig. Damit ist er eine ideale Symbolfigur für diese tolle Serie.

Verfügbarkeit: Beide Staffeln komplett bei Netflix abrufbar