Die Veranstaltungen unter der Paulinenbrücke finden nicht bei jedem Gefallen Foto: Nina Ayerle

Für eineinhalb Jahre wird die Fläche unter der Paulinenbrücke zu einer Spielwiese für die Bewohner dieser Stadt. Der Verein Stadtlücken fungiert dabei als Kurator. Viele Anwohner finden es gut, dass der Platz belebter und schöner geworden ist. Andere wiederum klagen über zu viel Lärm.

Stuttgart - Kaum ein Ort in der Stadt hat sich in den letzten Jahren so sehr gewandelt wie die Gegend unter der Paulinenbrücke. Jahrzehntelang war der Österreichische Platz eine Schmuddelecke und das Sorgenkind der Lokalpolitiker. Heute treffen entlang der Tübinger Straße völlig unterschiedliche Welten aufeinander: Auf der einen Seite ist dort die gentrifizierte Einkaufsmeile rund um das Gerber und die Restaurant-Zeile am Caleido und auf der anderen Seite der Treffpunkt der Obdachlosen- und Straßenszene, die der neuen Konsumwelt getrotzt haben.

Der Österreichische Platz soll ein Ort für alle Bürger dieser Stadt sein

Seit Sommer mischt dort auch der Verein Stadtlücken mit. Sie dürfen dort ganz offiziell mit Erlaubnis der Stadtverwaltung und der Politik ein Experimentierfeld kreieren. Die Stadtlücken fungieren dabei als Kurator für die Bürger. Vorschläge darf jeder bringen. Eine Filmwoche lockte allabendlich rund 400 Besucher unter die Paulinenbrücke; es gab eine „Brettl-Jause“, eine Tischtennisplatte, Chorproben, Kinderprogramm und politische Diskussionsrunden.

Das Projekt hat in der Stadt viele Fans. „Das Programm war unheimlich abwechslungsreich, eine Bereicherung für die Stadt“, sagt Raiko Grieb, Bezirksvorsteher im Süden, und betont, dass die Stadtlücken alles ehrenamtlich machen. Man habe daraus viel über Stadtentwicklung gelernt. Zum einen wie man so einen „Schattenraum“ für die Öffentlichkeit gewinnen kann. Zum anderen sei es für die Verwaltung eine neue Herausforderung gewesen, weil es eben „kein Fließbandprojekt“ sei.

Hier geht es zur Multimediareportage über den Wandel des Gerberviertels

Auch Veronika Kienzle, Bezirksvorsteherin in Mitte, lobt die Stadtlücken sehr: „Die sind für uns eine große Freude.“ Sie sieht in der Aktion vor allem das Positive: „Dort, wo vorher nichts war, ist jetzt etwas.“ Das sei der Freiraum im Herzen der Stadt, den man sich zwischen dem Süden und der Mitte immer schon gewünscht habe. „Wir haben dort ein hochkarätiges Kulturprogramm dazu gewonnen, dass die Menschen vor Ort zusammenbringt.“

Doch dort wo andere den Wandel, ja das Neue begrüßen, gibt es immer auch die, die schon immer dort waren und gerne hätten, dass alles so bleibt, wie es ist. Rosario Lamattina, der nebenan das Perbacco betreibt, stört in den Sommermonaten der Lärm. „Meine Gäste finden das nicht cool, die stehen dann auf und gehen.“ Vor allem bei den Chorproben: „Die singen 30 mal dasselbe Lied.“ Ja, die Stadt verändere sich überall. „Aber was heißt das? Muss ich jetzt weg?“ fragt er. Er wohne seit 25 Jahren im Süden. „Ich bin doch dieser Kiez!“

Dabei geht es ihm gar nicht um die Stadtlücken an sich, die Aktion findet er „toll“. Doch es sei ausgeartet: „Ich hab das Gefühl, da treiben sich jetzt wilde Jungs rum, die alles umschmeißen.“ Er kritisiert, dass nicht an öffentliche Toiletten gedacht wurde. Er wünscht sich mehr Respekt: „Wer neu dazu kommt, der muss sich benehmen. Ich habe das Gefühl, hier ist Anarchie.“

Die laute Musik stört bei der Nachtruhe

Für Schwester Margret, die sich seit Jahrzehnten an der Paulinenstraße 18 in der Franziskusstube um Obdachlosen kümmert, ist der Lärm eine „Katastrophe“. „Das verstärkt sich massiv unter der Brücke“, sagt sie. Sie sieht die Aktion nicht so recht als kreative Spielwiese, sondern als einen „massiven Eingriff in den öffentlichen Raum“. „Jeder kann dort anscheinend tun und lassen, was er will.“ Dabei ist sie gar nicht prinzipiell gegen das Engagement der Stadtlücken vor ihrer Haustür: „Die können dort bis nachts um zwei Tennis spielen, oder Gitarre. Das ist mir gleich. Aber ohne Lautsprecher.“ Bisher vibrierten bei ihr bei manchen Veranstaltungen die Wände, sagt sie und ergänzt: „Das ist keine Lebensqualität mehr.“

Manche Sachen fand sie auch gut, wie das Open-Air-Kino. Viele ihrer „Leute“, also die Obdachlosen, seien dort gewesen und es habe ihnen gut gefallen. Aber sie habe mit einer schwierigen Klientel zu tun und plädiert deshalb für mehr Verständnis: „Man braucht Stille, um sich da entspannen zu können.“ Auch ist ihr wichtig, dass dort auch andere Projekte zum Zuge kommen. Sie wünscht sich dringend eine Fläche für Rikschas oder Elektro-Lastenräder.

Einer ihrer Helfer, die ihren Namen lieber nicht nennen möchte, wünscht sich ruhigere Veranstaltungen wie einen Wochen- oder Flohmarkt. „Das wäre mehr für alle Leute.“

Das Lärmproblem gebe es, das räumt auch Veronika Kienzle ein. „Aber für mich ist nicht maßgeblich, ob wir mal ein Problem haben, sondern wie wir damit umgehen.“ Und da seien die Stadtlücken vorbildlich kooperativ.

Weil es von direkten Anwohnern Beschwerden gab, fanden im Dezember Treffen mit Bewohnern, Geschäftsleuten und Gastronomen statt. Für Raiko Grieb ist klar, dass dort nicht alles funktioniert: „Parties unter der Brücke, das geht eben nicht.“

Im benachbarten Restaurant klagt man über Lärmbelästigung

Und ihnen geht es nicht darum, andere zu verdrängen. In den vergangenen Monaten sei am Österreichischen Platz mit anderen Initiativen viel getestet worden. Nicht alles sei rund gelaufen, sagt Sascha Bauer von den Stadtlücken. Das hätte deutlich gemacht, dass es in Hinblick auf Lautstärke und Frequentierung definierte Spielräume geben muss. „Dazu wollen wir die Wintermonate nutzen, um zur Ruhe zu kommen und mit allen ausloten, unter welchen Bedingungen das Jahr 2019 ablaufen kann“, sagt er.

Die Lokalpolitiker sehen das Projekt durch und durch als Gewinn