Meike de Vries vom Juwelier Lix zeigt auf die Überreste der Schilderstange. Foto: Haar

Die Stadt rasiert ein Schild fürs Gerberplätzle kommentarlos ab. Die Bürger und Händler im Gerberviertel sind entsetzt. Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle nennt die Aktion der Verwaltung „wenig liebevoll“.

Stuttgart - Wo endet Bürgerinitiative – und wo beginnt Anarchie? Diese Frage hat die Stadt Stuttgart klar beantwortet. Sie werteten die Aktion von Geschäftsinhabern und Anwohnern im Gerberviertel als einen anarchischen Akt. Bürger hatten sich erdreistet, ohne Rückfrage mit den Behörden ein kleines Stückchen Niemandsland zwischen der Christoph- und Sophienstraße zu taufen. Man entschied sich Ende Dezember 2017 dafür, diesem Platz im Gerberviertel den Namen Gerberplätzle zu geben. Und weil man die Sache für kreativ und originell hielt, investierte man auch in Straßenschild. Fleißige Hände montierten es in einer Nacht- und Nebel-Aktion.

So weit so gut, sollte man meinen. Auch die Firma Schmuck Lix, die sich seit acht Jahren vergeblichen Mühen mit der Stadt so sehr wünschte, dem Platz endlich einen Namen zu geben, war restlos glücklich. Denn bisher musste die Inhaberin Cornelia Silbermann ihren Kunden kompliziert erklären, wie der Laden zu finden sei. Nämlich entlang des Fußweges an der „Nesenbachgedenkrinne“ (Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle) zwischen Christoph- und Sophienstraße. Selbst gebürtige Stuttgarter wissen nicht auf Anhieb, wo das ist. Auch mit der konkreten Postadresse des Juweliers, Christophstraße 12, ist die Navigation kein Kinderspiel. Daher glaubte Cornelia Silbermann, dass der Ort durch den Namen Gerberplätzle mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit dringe werde. Sie hoffte, dass alles einfacher werde.

Bezirksbeirat Mitte kümmert sich um die Sache

Ein Trugschluss. Denn aufgeschreckt von der Berichterstattung dieser Zeitung über die Platz-Taufe, rückten Mitarbeiter der Abfallwirtschaft im Auftrag der Verwaltung zeitnah nach der Veröffentlichung des Artikels an. Kommentarlos packten sie eine Flex aus und rasierten das Schild samt Stange ab.

Entsetzen macht sich seitdem im Gerberviertel breit. Aber die Schockstarre wich sehr bald neuem Mut. Der Gerberviertelverein schickte seinen Quartiersmanager Hannes Wolf in den Bezirksbeirat Mitte, um von der glatten Rasur des Platzschildes zu berichten.

„Wir wundern uns, warum man sich bemüßigt gefühlt hat, dieses Schild zu entfernen. Den Bürgern ist es ein Anliegen, diesen Platz zu entwickeln“, sagte Wolf im Bezirksbeirat und formulierte in gleichem Atemzug den Wunsch der Anwohner und Gewerbetreibenden im Viertel: „Wir würden diesen Platz gerne wieder als Gerberplätze benennen und würden dies auch gerne mit dem Schild kennzeichnen.“ Neugierig seien zudem alle, was mit der abgesägten Stange samt Schild passiert sei.

Das Schild liegt bei der Abfallwirtschaft

Darauf gab die Stadt nun eine offizielle Antwort: „Tatsächlich hat die Fläche, an der das Straßenschild stand, keinen offiziellen Namen. Rein rechtlich darf an dieser Stelle auch kein offizielles Straßenschild stehen. Deshalb wurde das Schild im Auftrag der Verwaltung von der Abfallwirtschaft entfernt.“ Weiter heißt es in einer Stellungnahme: „Da uns nicht bekannt ist, wer das Schild dort angebracht hat, konnten wir vorab nicht auf den Eigentümer zugehen. Das abmontierte Schild bewahren die Kollegen derzeit noch auf, der Eigentümer kann es gerne bei der Abfallwirtschaft abholen.“

Der Bezirksbeirat Mitte sagte nach den Berichten von Hannes Wolf flugs seine Unterstützung zu. Gleichwohl gab Veronika Kienzle zu bedenken, dass es „zwar eine liebevolle, aber eine kleine anarchistische Intervention im öffentlichen Raum“ gewesen sei. Die Aktion der Verwaltung sei dagegen „weniger liebevoll und ein bisschen hart“ gewesen. In jedem Fall will die Bezirksvorsteherin mit dem Hauptamt der Stadt klären, ob eine Namensgebung möglich sei. Dabei denkt Kienzle auch an einen prominenten Namenspatron. Wolf erwiderte darauf: „An dem Namen Gerberplätzle soll es nicht hängen. Uns stört am meisten, dass dieser Platz unbenannt ist.“

Was auch immer mit dem Platz passieren wird, die Geschichte mit dem städtischen Kahlschlag am Niemandsland wird ihnen unvergesslich bleiben. Weil das so ist, machten sie der Stadt gleich noch einen Namensvorschlag: Die neue Gedenkstätte städtischer Durchsetzungskraft am Nesenbach – Am Nesi.