Ausschnitt aus Kandinskys Komposition No. 350 Foto: Staatsgalerie

Wie entzieht sich ein Museum dem „tödlichen Wettbewerb“ spektakulärer Sonderausstellungen? Es holt die Schätze ans Licht, die sonst im Depot schlummern und stellt sie in einen neuen Zusammenhang – wie nun die Staatsgalerie mit „Poesie der Farbe“.

Stuttgart - Wie entgeht das Museum als steuerfinanzierte Einrichtung den horrenden Kosten, die Leihgaben aus aller Welt für eine attraktive Schau inzwischen verschlingen? Es wuchert mit dem Pfund, das es besitzt! Genau dies macht die Staatsgalerie mit ihrer jetzt eröffneten Ausstellung „Poesie der Farbe“. Wie schon die vorangegangenen „Künstlerräume“ ist auch diese Präsentation, so Christiane Lange, Staatsgalerie-Direktorin Christiane Lange, haargenau auf das Programm des Symposiums abgestimmt, das am 26. und 27. November zum Thema „Grenzen des Wachstums. Das Kunstmuseum gestern, heute und morgen“ eine Diskussion anstiften soll.

Corinna Höper hat das Projekt erarbeitet – mit „Leihgaben“ aus dem eigenen Haus. 26 Gemälde und rund 160 Zeichnungen und Druckgrafiken (on denen nicht wenige als begehrte Leihgaben schon in aller Welt gesehen wurden, nur eben in Stuttgart noch nicht) sind zu erleben. Nicht zuletzt soll das „Heimspiel“ einer derartigen Wechselausstellung aus eigenen Beständen „Bürgerstolz“ wecken: „Was haben wir für eine großartige Sammlung!“ (Christiane Lange)

Der Zusammenhang, in den der zeitweilige Blick auf die eigenen Schatzkammern gestellt wird, geht auf den Briefwechsel zwischen August Macke und Franz Marc zurück. Darin dachten die Malerfreunde 1910 über die Symbolik der drei Grundfarben nach. „3 Farben Blau Gelb Rot. Parallelerscheinung Traurig Heiter brutal“, so Macke. Marc entgegnete: „Blau ist das männliche Prinzip, herb und geistig, Gelb das weibliche Prinzip, sanft, heiter und sinnlich. Rot die Materie, brutal und schwer.“

Von der Kraft der Farbe

Man wird sich mit Corinna Höper darauf einigen, dass Blau als „himmlische Farbe“ für Ferne und Sehnsucht steht. Für die Ausstellung wesentlicher ist der rote Faden, den die drei Farben liefern, um unter den 13 beteiligten Künstlern der klassischen Moderne sinnvolle kunsthistorische Bezüge herzustellen.

Zuallererst begegnet dem Besucher darum Wassily Kandinskys „Improvisation 9“ von 1910, wo ein bläulicher Reiter zu entdecken ist. Die Münchener Redaktion des 1911 geplanten Almanachs „Der Blaue Reiter“ sprach der Farbe überhaupt universelle Kraft zu, die sowohl Form als auch Inhalt meint. Kandinsky: „Die Farbe ist die Taste. Das Auge ist der Hammer. Die Seele ist das Klavier mit vielen Saiten“. Das lief auf eine Kampfansage wider figürliche beziehungsweise gegenständliche Auffassungen hinaus und führte zum Auszug der Gruppe aus der Neuen Künstlervereinigung München.

Ganz so dogmatisch wirkt das Miteinander der unter blauem Vorzeichen vereinten Künstler aber nicht. Franz Marcs „Spielende Affen“ bilden eine fast ornamentale Komposition, lassen aber wie auch „Die kleinen blauen (oder gelben) Pferde“ die fast franziskanische Empathie spüren, die der Künstler für Tiere empfand. Auch die „Große Landschaft mit zwei Frauen“ und „Der Garten“ von Heinrich Campendonk eint ein märchenhafter Friede zwischen Mensch und Natur. Nicht minder friedlich sind bei August Macke nur ein, zwei Jahre vor dem Ersten Weltkrieg „Spaziergänger“ auf der „Promenade“ unterwegs, mit der die „Poesie der Farbe“ auch für sich wirbt.

Die Farbe Rot als Zeichen für Aggression und Krieg

Weniger übrig für die mystische oder pantheistische Schwärmerei der deutschen Künstlerkollegen hatte Robert Delaunay. In seinem großen Ölbild „Ville de Paris – la femme et la tour“ tritt körperliche mit konstruktiver Schönheit in Wettstreit, nachdem schon 1911 drei Grazien auf einer Federzeichnung „Die Stadt Paris“ kubistisch in Aufregung versetzten. Aufregend, weil zuvor noch nicht zu sehen gewesen, ist auch die Rückseite von Alexej Jawlenskys „Die weiße Feder“ von 1909, nämlich die „Studie zum Porträt Alexander Sacharoffs“. 1913 ein wenig der Zeit voraus eilt die dunkelhäutige „Tänzerin“ von Emil Nolde, die sich auf einer Bühne im schwingenden Blätterrock verausgabt. Die Zeit holt bald Künstler wie Max Beckmann, Otto Dix, George Grosz und Paul Klee wieder ein, die unter der Farbe Rot als Symbol für Aggression und Krieg versuchen, auf die Katastrophe des Weltkriegs einen Reim zu finden. „Schönheit, dich will ich preisen“ heißt das Blatt 3 aus der Mappe „Ecce Homo“ (1923) von George Grosz, die das Elend sarkastisch auf den Nenner „Kraft und Anmut“ bringt, der als Geld und Sex immer noch gültig ist.

Große Hoffnung ist auch nicht aus Max Beckmanns Radierung von 1918 zu schöpfen, die einer „Auferstehung“ nur geringe Chancen einräumt. In der handkolorierten „Apokalypse“ von 1942 sind gefräßige „Heuschrecken“ am Werk, „Die vier apokalyptischen Reiter“ stürmen vor dem Fenster vorbei. Otto Dix zieht mit dem souverän ins Bild gesetzten „Trümmerhaufen“ schon 1916 eine verheerende Bilanz. „Ich habe diesen Krieg in mir längst gehabt,“ sagte Paul Klee 1915. „Daher geht er mich innerlich nichts an.“ So setzt er 1919 bei der „Komposition mit schwarzem Brennpunkt“ um die dunkle Mitte herum freundlichere Lichter. Für Alfred Kubin ist „Der Krieg“ hingegen ein zeitloser Ungeist, der mit Riesenschritten ständig wieder auf uns zukommt.

Den 21 Jahren dazwischen trägt das Kapitel „Die Blaue Vier“ Rechnung, womit die Bauhaus-Meister Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky und Paul Klee sowie Alexej Jawlensky gemeint sind. Letzterer komponierte schon 1915 eine „Variation mit Regenbogen“. Der wirkt, düster wie er ist, wenig verheißungsvoll. Nur wenige spröde Linien genügen ihm 1923 für einen „Kopf“, der nicht ganz von dieser Welt ist. Kandinsky ist bei der „Komposition“, dem Blatt 8 der Bauhausdrucke, vollends zu turbulenter Abstraktion gelangt. Das „Schloss im Wald zu bauen“ von Paul Klee ist auch so weit, nur ungleich stiller. Und die „Jachten“, die Lyonel Feininger 1929 vor dem Wind segeln lässt, haben ordentlich Fahrt aufgenommen. Der „Krieger“ allerdings, dessen törichten „Stahlblick“ Paul Klee 1939 ins Visier nimmt, lässt wieder Böses ahnen.

Humor, Groteske, Ironie

Damit setzt sich schließlich das Kapitel „Gelb“ wieder auseinander, gewinnt dem Jammer aber mit „Scherz, Ironie und tiefere(r) Bedeutung“ (C. Höper) groteske und ironische Pointen ab. Die absurde „Flucht kurz vor dem Sturz“, die Klee als lineare Hierglyphe stilisiert, ließe sich ohne weiteres posten, wenn die Zeichnung nicht so abstrakt wäre. Kubins „Straßenkehrer“ führen ein absurdes Tänzchen auf und erinnern an Ensor.

Von Paul Westheim als „Spitzweg des Kubismus“ apostrophiert, entdeckt Lyonel Feininger Häuser mit „Sinn für Humor“, verfügt aber auch selbst über welchen, wenn er scherzhalber mit „Leinoel Einfinger“ signiert. Otto Dix’ legendär verstümmelten, hier als Radierung gezeigten „Kartenspieler“ bewähren sich erneut. Nolde sieht „Hampelmänner“ an ihren Strippen zappeln. Franz Marc versteigt sich zu „Zwei weibliche(n) Akte(n)“. George Grosz nimmt Artisten beim „Trapezakt“ auf die Schippe, Max Beckmann zwei Männer, die sich am Boden liegend in die Wolle kriegen.

Auf den Punkt bringt die prekäre Stellung sowohl des Künstlers als auch von jedermann der „Seiltänzer“. Der hat August Macke 1913 beschäftigt. Paul Klee hat ihn sich, etwas entrückter, 1923 vorgenommen.